Verbrechen der Magie – Kapitel 19

Akt III – Geschichten der Dimensionen

»Über die Jahre habe ich viele Geschichten aus den Welten gehört. Natürlich hat jede Welt ihre eigene, ganz spezielle Vergangenheit aus besonderen Ereignissen, doch seit der Entdeckung der Zwischenwelt durch den Ersten Vollkommenen, gab es Ereignisse, die sich über die Gesamtheit der Dimensionen verteilt hat.
Sie alle haben verschiedene Versionen, je nachdem wo man sie hört, aber viele haben eines gemeinsam: Sie sind oft grausam.

Ich befürchte, mein Tod wird der Auslöser, der Startpunkt eines solchen Ereignisses sein.«

Verbrechen der Magie

Zeit: 13 Jahre zuvor. Ort: Schlachtfeld, Abschied der Krieger.

Was übrig blieb, waren Haufen von Asche und Staub. All das, verursacht durch die Flammen der Zerstörung. An einigen Stellen konnte man kleine Feuer erkennen. Sie brannten in den verschiedensten Farben. Grün, Gelb, Lila und Blau.
Sollten dies nicht die Farben der Freiheit sein?, fragte sich Iglias, als er das Schlachtfeld überblickte. Das war es zumindest, was der Widerstand doch immer gesungen hatte.
»Über die Felder und Wiesen, in allen Farbe. Grün, Gelb, Rot und Blau«, summte Iglias vor sich hin. ›Ruf der Dimensionen‹, die Hymne der Freiheit.
Iglias konnte den Widerstand hierfür nicht verantwortlich machen, richtig? Nicht weit weg von ihm wehten die Banner mit ganz anderen Farben. Das tiefe Rot und Schwarz blickte auf ihn hinab, als er das Muster der Flaggen sah. Der rote Mond umgeben von unzähligen Kreisen. Die Flagge der Vereinten Dimensionen. Die Flagge, für die er sein Leben in dieser Schlacht riskiert hatte.
Iglias fiel zu Boden. »Über die Flüsse und Seen, in allen Farben. Lila, Weiß, Orange und Grau«, summte er weiter. Sein Mantel war zerrissen, verdreckt und in Blut getränkt. Er löste die schweren Handschuhe aus Metall, an denen noch einzelne, fleischige Überreste seiner Gegner, oder ehemaligen Verbündeten, hingen. Wird es ihm jemals wieder möglich sein, diese Waffen zu tragen, nach dieser Schlacht? »So soll unser Ruf der Freiheit klingen…«
»Der Ruf der Dimensionen«, beendete eine Stimme hinter ihm den Text. Iglias musste sich nicht einmal umdrehen, um zu erkennen, wem sie gehörte. Auch wenn es die letzte Stimme war, die er jetzt hören wollte. »Das war es nicht, was du dir erhofft hast, nicht wahr?«
»Es ergibt alles keinen Sinn«, antwortete Iglias, während er weiter über das Schlachtfeld schaute. Die Leichen waren überall, egal wo sein Blick wanderte. »Ich dachte, ich könnte etwas ändern, aber ich habe mich selbst angelogen. All das hier, nur für meine Selbstsucht.«
»Ich möchte ja nicht sagen, dass ich es dir gesagt habe, aber ich habe es dir ja gesagt«, sagte sein Gesprächspartner und setzte sich neben Iglias, teilte sich mit ihm die Aussicht.
»Du hast mir aber auch gesagt, dass deine Seite die Gute wäre, Dask.«
»Nein, ich habe gesagt, dass wir das Richtige tun. Nicht, dass wir die Guten wären«, verteidigte sich Dask.
»Ihr seid alles Dimensionsmagier. Leider werden die Armeen von Vasil letztendlich auch nur von dem gleichen Abschaum geführt«, gab Iglias geschlagen zu. Wie konnte er sich diesem Tyrannen anschließen.
»Er hat deinen Hass gegen dich ausgespielt. Ich weiß, dass deine Mutter von einem Magier getötet wurde, aber…«
»Sie wurde nicht nur von ihm getötet, Dask!«, unterbrach ihn Iglias. »Er hat sie vergewaltigt und dann umgebracht. Meinen Vater hat er damit auch in den Tod geführt! Ihr Magier seid Monster.«
»Trotzdem sitzt du gerade neben einem von ihnen. Dazu auch noch mit dem ›Dunklen Magier‹ höchstpersönlich«, protzte Dask spielerisch. Iglias hätte ihn dafür ins Gesicht schlagen müssen. »Es ist richtig, dass dieser Mann ein Monster war. Doch er war nicht so, wegen seiner Kräfte aus der Zwischenwelt. Er war ein Monster, weil es das war, was er nun einmal war. Außerdem ist Vasil nicht unschuldig in dem Schicksal deiner Eltern.«
Dask hatte damit recht, das wusste Iglias unterbewusst. Seine Mutter musste sterben, weil sie schwanger wurde durch diese ekelhafte Gestalt. Er hatte sie missbraucht, und das Kind wäre ebenfalls mit den Fähigkeiten eines Magiers geboren worden. Laut Gesetz der Vereinten Dimensionen, verordnet durch den König Vasil persönlich, durfte solch ein Kind nie geboren werden. Trotzdem hatte Iglias sich dazu bereit erklärt, für diesen König in die Schlacht zu ziehen.
»Wir wollten uns an diesem Ort die Freiheit erkämpfen«, fuhr Dask fort. »Der Widerstand war so gut vorbereitet wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Hätten wir gesiegt, könnten wir solche Gesetze, die deine Mutter getötet haben, endlich abschaffen.«
»Und ich habe mit all meiner Kraft dagegen gekämpft…«, sagte Iglias und schaute herunter auf die Handschuhe, die neben ihm lagen.
»Leider hätte es wohl keinen Unterschied gemacht, wenn du auf unserer Seite gewesen wärst«, gab Dask niedergeschlagen zu.
Er wirkt zerstörter als sonst, dachte Iglias. Selbst nach solchen Niederlagen, fand er immer ein Weg zu lächeln.
Diese Schlacht schien anders gewesen zu sein. Irgendwas in Dask war da draußen gestorben.
»Was hatte er dir versprochen, Iglias?«, fragte Dask, seine Stimme wirkte nun viel ernster.
»Eine abgeschottete Welt«, antwortete Iglias. »Er hatte sie mir gezeigt. Sie war wunderschön. Ein wahrliches Paradies, vollkommen isoliert von den Dimensionen und der Magie. All das hatte nur einen Haken. Ich musste einen Vollkommenen in dieser Welt aufnehmen.«
»Einen Vollkommenen? Welchen Vollkommenen denn?«, fragte Dask schnell. Er wirkte so interessiert, völlig erschrocken beinah von der Information.
»Das weiß ich nicht. Es war sehr kryptisch, aber er soll noch sehr jung sein. Vielleicht nicht einmal geboren, wer weiß das schon. Nur deshalb konnte ich das Angebot annehmen. Ein Neugeborenes hätte ich, isoliert von den Dimensionen und der Magie, wie einen normalen Sterblichen erziehen können.«
»Und der Fakt, dass du nach freiem Willen Magier wie uns abschlachten durftest, hat auch nicht geschadet, nehme ich an«, fügte Dask noch hinzu und schaute auf die Waffen von Iglias. »Dass ein Sterblicher solche Kraft haben kann wie du, das hat mich immer überrascht. Es ist eine wundersame Kunst.«
»Es ist eine Kunst der Zerstörung, genauso wie die Magie. Ich werde diese Handschuhe nie wieder anziehen können.«
»Jetzt wirst du deine eigene Welt bekommen, alter Freund«, sagte Dask, stand auf und packte Iglias die Hand auf die Schulter. »Ich hoffe, es wird sich lohnen. Ein Teil von mir beneidet das Leben, welches vor dir steht.«
»Ich hoffe, ich werde den Frieden finden, den ich suche«, sagte er und stand ebenfalls auf, sein Blick nun auf seinen alten Freund gerichtet. »Du hast da draußen etwas verloren, richtig? Du wirkst anders.«
»Nicht da draußen, und auch nicht etwas«, sagte Dask und wandte seinen Blick ab. »Vor der Schlacht, und jemanden. In letzter Zeit habe ich deinen ewigen Wunsch an diese Ruhe genau deshalb immer mehr verstanden.«
»Jemand so besonderes also?«
»Sie war alles für mich. Für sie hätte ich das Kämpfen aufgegeben. Sie hatte einen kleinen Bruder, er konnte nicht einmal gehen, so jung. Ich wollte alles hinter mir lassen und ihn einfach mit ihr groß ziehen.«
»Ich nehme an, das wird jetzt keine Möglichkeit mehr sein, wenn ich es richtig verstehe«, sagte Iglias und schaute betroffen zu Boden. Wir alle verlieren diejenigen, die uns am wichtigsten sind in diesem Krieg, erkannte er. Und ich renne einfach davon.
»Nein, ich kann nicht aufhören zu kämpfen. Vor allem jetzt nicht mehr, wenn ich sie und ihren kleinen Bruder verloren habe. Jetzt hat auch noch Vasil mir und Serce den ganzen Widerstand genommen. Wenn ich jetzt aufhöre, habe ich nichts mehr«, erklärte er mit gebrechlicher Stimme. Iglias sah zum ersten Mal in seinem Leben eine Träne in den Augen seines alten Kameraden. »Einen letzten Versuch habe ich noch in mir, glaube ich.«
Iglias nahm seinen alten Freund zum ersten Mal in die Arme. »Es wird für uns beide von jetzt an nach oben gehen«, sagte Iglias leichter. Es war vielleicht eine Lüge, doch sie hörte sich gerade einfach gut an.
Dask drückte Iglias einmal feste, bevor sie beide noch einmal auf das Schlachtfeld blickten.
In der Ferne hörte man manchmal noch vereinzelte Schreie nach Hilfe, oder das Wegbrechen von Bäumen. Am Horizont marschierten langsam Flaggen auf. Die Verstärkung von Vasil war angekommen, um das Schlachtfeld zu sichern.
»Lass dich von deinem Hass nicht zu sehr konsumieren, so wie ich es getan habe. Du warst letztendlich derjenige, der mich immer für all diesen Hass verurteilt hatte«, sagte Iglias, während er merkte, dass er seine Fäuste wieder ballte bei dem Anblick von Vasils Armee.
»Verurteilt habe ich dich nie. Ich konnte genau verstehen, was dich getrieben hatte. Es ist nur schade, dass sich unser Hass schon lange nicht mehr auf einen gemeinsamen Feind gerichtet hat.«
Iglias blickte nochmal zu Dask. »Meine Zeit des Kampfes ist endlich vorbei«, erklärte er. »In einem anderen Leben hätten wir wieder Seite an Seite gekämpft.«
»Seite an Seite gekämpft, und gestorben«, sagte Dask und nickte. »Das ist also ein Abschied, nicht wahr? Ich werde den Kampf zu Ende führen für dich. Und behandel den Vollkommenen gut, den du bekommst. Kleine Kinder können besser sein, als man es sich vorstellen mag. Vielleicht wird er dir zeigen, dass wir nicht alle Monster sind.«
Iglias nickte. »Pass auf deinen großen Bruder, verstanden? Ich ahne nur, was diese Schlacht mit ihm machen wird«, sagte er abschließend und ging danach fort in Richtung der Armee des Königs. Er war bereit, sein neues Leben zu beginnen, in seiner eigenen Dimension.

Dask blieb an diesem Tag zurück. Bevor er aber ging, hob er die Handschuhe von Iglias auf und befestigte sie an seinem Gürtel. Danach ging er in die entgegengesetzte Richtung.
Die Beiden waren fest davon überzeugt, dass dies das letzte Treffen von ihnen war. Iglias in seiner isolierten Dimension und Dask weiter in seinem unaufhörlichen Kampf gegen Vasil. Ein letztes Gespräch, hier auf dem Schlachtfeld eines Krieges, der für einige Jahre nun im Stillen ausgetragen wurde.
Dieser Ort würde später im Widerstand, und in breiten Teilen der Dimensionen, bekannt als der »Abschied der Krieger«.
Hätten Dask oder Iglias auch nur einmal den Namen des kleinen Elphids erwähnt, dann hätten sie gemerkt, dass sie über den selben Vollkommenen geredet haben. Dask müsste nicht Jahre mit seiner Unwissenheit leben und denken, er hatte auch Elphid verloren. Wie sehr würde sich die Geschichte verändern?
Das Schicksal besaß aber einen anderen Plan. Es würde die alten Freunde nochmal zusammenführen. Diesmal mit einem gemeinsamen Feind, und verbunden durch einen besonderen Jungen.

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