Schlangen und Freude – Kapitel 18

»Ich hoffe einfach, dass Elphid seine Reise nicht alleine vollbringen muss… Ich hoffe, er hat jemanden an seiner Seite. Doch wieso mache ich mir eigentlich Sorgen? Wer, wenn nicht Elphid, soll in diesen Welten treue Partner finden, die ihm den Rücken frei halten?«

Schlangen und Freude

Ort: Fliegende Inseln, Emeraldus.

Die Sicht von hier oben war bemerkenswert. Zu Anfang hatte Elphid ein wenig Angst, ob ihm die Höhe etwas ausmachen würde, doch es war viel zu aufregend so weit oben zu sein, dass ihm die Angst fern blieb. Diese fliegenden Inseln in diesem ach so grünen Paradies waren wirklich etwas Wunderbares. Frische Luft wehte hier oben, viel reiner als unten zwischen all den Sterblichen. Emeraldus war viel kleiner von hier oben, und auch so viel schöner. Die Straßen, Sterblichen und Gebäude hatten einen viel schlechteren Beigeschmack, nach der Hinrichtung. Von den fliegenden Inseln aus aber spielte das alles kaum noch eine Rolle. Vielleicht wurde das Schlechte dieser Welt auch nur kleiner, je weiter weg man davon war.
Möglicherweise war die Aussicht von hier oben auch nur noch schöner, weil er sie nicht alleine erleben musste. Als Elphid diese verschiedenen wundersamen Welten, die sicherlich noch da draußen waren, in seinen Träumen gesehen hatte, konnte er diese Anblicke mit niemandem teilen. Iglias wollte immer kaum über die Welten da draußen reden und jeder andere in Adeli schaute ihn immer nur verwirrt an, wenn er anfing davon zu reden. So merkte Elphid schnell, wie schön es war solche Aussichten zu teilen.
»Solche Inseln brauchen wir in Adeli auch«, sagte Elphid und setzte sich an den Rand der Insel. Seine Beine baumelten herunter ins nichts, zusammen mit den Ranken und Pflanzen. Unter ihm erstreckten sich die hoch gebauten Häuser von Emeraldus, die unten noch so riesig gewirkt hatten.
»Wie sollte das denn funktionieren?«, fragte Fidi, die sich neben ihn setzte. Bevor Elphid ohnmächtig geworden war bei der Hinrichtung, hatten die Beiden nicht zu viel miteinander geredet, obwohl sie seit Meksa eigentlich immer zusammen waren. Irgendwas war aber anders, seitdem Elphid aus der Zwischenwelt zurückgekommen war. Die Ruhezeit, die Dask verhangen hatte, brachte Fidi und Elphid viel Zeit in dieser Welt. All das führte dazu, dass Fidi viel offener geworden war. Immer öfter erlaubte sie sich zu lachen.
»Ich weiß nicht.« Elphid blickte zu der riesigen Insel vor ihm. Der grüne Palast funkelte in der Sonne. »Die Technologie hat es doch gegeben, oder nicht? Also wird es sie wohl irgendwann wieder geben. Vielleicht bringe ich sie ja auch wieder zurück. Das wäre doch eine Idee für ein Abenteuer, nachdem ich meine Schwester wiedergefunden habe!«
»Du glaubst, dass du noch mehr Abenteuer erleben willst, nach diesem hier?«
»Natürlich! Noch nie habe ich so viel erlebt, wie in der Zeit seit Adeli.«
»Du bist beinah gestorben, als du probiert hast in die Zwischenwelt zu gelangen! Wie kannst du so etwas sagen?«
»Ich bin beinah gestorben, als ich erfolgreich in die Zwischenwelt gelangt bin«, korrigierte Elphid sie. Dann stand er auf, zu viel sitzen war nie Seins.
»Schau dir doch die ganzen unterschiedlichen Sterblichen da unten an! Diese Art ein Dorf zu führen und all diese Farben«, sagte er und bewunderte das Paradies unter ihm. »Diese ganzen Inseln, die Drachen und die, die auf ihnen reiten. Sie kommen aus einer anderen Welt, oder? Die will ich unbedingt bereisen und auch auf einem Drachen reiten!« Elphid sprang auf einen Baumstamm, der sich ganz in der Nähe befand und streckte die Arme wie Flügel aus.
»Du bist doch wahnsinnig!« Fidi stand ebenfalls auf und betrachtete Elphid dabei, wie er sich das Fliegen vorstellte. Sie lächelte.
»Wahnsinnig vielleicht, aber du lächelst wieder!« sagte er und kicherte dann glücklich.
Fidi drehte sich blitzschnell um und sagte nicht mehr.
Was sollte das denn jetzt? Wieso tut sie das immer?
»Warum denkst du, dass du nicht lächeln darfst?«, fragte Elphid gerade heraus. »Immer ziehst du dich zurück, sobald du einmal glücklich wirkst.«
»Weil es naiv wäre sich daran zu gewöhnen«, erwiderte Fidi mit dem Blick auf den Palast gerichtet. »Wir sind der Widerstand. Ein rebellischer Haufen, der sich gegen eine monströse Maschine wendet. Weißt du, wie oft die Armee des Widerstandes schon zerschlagen wurde? Wie oft die Sterblichen, die nach Frieden gestrebt haben, schon umgebracht wurden?«
Elphid zögerte mit seinen Worten, sprachlos. »Nein, nicht-«
»Richtig, du kennst die Welten und die Grausamkeiten nicht. Du weißt nicht, was es bedeutet sich gegen Vasil zu stellen. Uns allen hat er schon so viel genommen. Genau das ist der Grund, warum du der Einzige von uns bist, der so hoffnungsvoll durch die Welten rennt. Ich, Dask, Serce, selbst Chaos und auch Doa haben erlebt, was Vasil anstellen kann. Wir alle kämpfen zwar weiter, doch wenn ich eines von den Schicksalen der Anderen gelernt habe, dann dass ich mich nicht an schöne Zeiten gewöhnen werde. Es mag sein, dass du als Dimensionsgeborener, als jemand der anders ist als wir, Chancen hast tatsächlich etwas zu ändern. Doch wenn du glaubst, dass es dich nicht die Welt kosten wird, dann ist das schlicht dämlich. Genau deshalb werde ich nicht anfangen mich an dich oder die Freude die du bringen willst, zu gewöhnen. Ich muss nämlich sonst damit rechnen, dass das erste Gute, was ich in meinem Leben gefunden habe, mir brutal von Vasil genommen wird!«
Stille legte sich über die kleine Insel der Beiden. Elphid fand sich ohne Worte, ohne eine Antwort. Bedeutete der Kampf gegen Vasil wirklich all das, was Fidi sagte? Viel wichtiger aber, bedeutete er Fidi das, was sie behauptete?
»Ich bin das erste Gute, was du gefunden hast?«, fragte Elphid leise.
»Richtig, Elphid. Siehst du nicht den Effekt, den du auf alle hast? Jeder im Widerstand war an dem Tag, als du aufgetaucht bist, plötzlich voller Energie. Dask ist ein völlig anderer Mensch und ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal weiß, was es bedeutet, einen Freund zu haben. Du bist wichtig und ich habe die Angewohnheit, dass alles Gute um mich herum verdirbt. Du darfst nicht verderben, Elphid. Deine Hoffnung darf niemals wegen jemandem wie mir sterben!«
Er sah wie Fidi dort stand und ein paar Tränen auf das grüne Gras fielen. Als Elphid erfahren hatte, dass Fidi selbst eine Wache war, dann tat er diese Information einfach ab, doch erst jetzt wurde es ihm wirklich klar. Elphid war nur eine kurze Zeit bei den Wachen und es war wirklich die Hölle. Durchgehende Unsicherheit, Angst und von dem Ausbilder wollte er gar nicht erst anfangen. Fidi lebte in diesen Welten Jahre lang. Für sie müssen all diese anderen Welten auch etwas neueres sein, doch sie erschienen sie wahrscheinlich in einem ganz anderen Licht als für Elphid. Daher war es klar was er tun musste. Elphid musste ihr zeigen, wie er das Leben sah.
»Niemand von uns wird sterben«, sagte Elphid leise.
Ohne auf einen weiteren Satz von Fidi zu warten, ging er zu Fidi hin und griff ihre Hand. »Du kannst uns im Notfall in Sicherheit teleportieren, oder?«, fragte er Fidi.
»An sich ja, aber inwiefern?«. Sie wirkte verwirrt und schaute auf Elphids Hand. Elphid aber blickte nach unten und sah die Drachen durch die Lüfte fliegen.
»Zeit eines meiner Ziele vorzeitig abzuhaken.« Elphid sprang mit einem Schrei von der Insel und zog Fidi mit sich.
Ein waghalsiger Sturz, hunderte Meter trennten die Beiden vor einem brutalen Aufprall, doch all das war nebensächlich. Vielleicht war die Aussicht von dort oben schön, doch erst, wenn einen nichts anderes als die prachtvolle Landschaft und kein Boden unter den Füßen umgab, erschien diese Welt in ihrer vollen Pracht. Das Smaragdschloss wurde immer kleiner und kleiner, während die verzwickten Straßen, die chaotischen Häuser und die unendlichen Pflanzen immer näher kamen. Sie fielen an einer kleinen Insel nach der anderen vorbei. Sicherlich wurden sie mit besorgniserregenden Blicken bestaunt, doch all das war in diesen Momenten egal.
Hand in Hand flogen sie durch die Lüfte. »Du bringst uns um, Elphid!«, schrie Fidi. Ihre Stimme vermischte sich mit den lauten Winden, doch trotzdem war sie klar.
»Teleportier uns doch weg, wenn du das glaubst. Oder vertrau mir und hab Spaß an dem Fall!«, rief Elphid mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Fidi antwortete nicht mehr, doch da sie immer noch fielen, hatte sie ihre Entscheidung wohl getroffen. Elphid lachte laut auf und drehte sich und Fidi im Wind.
Mit seinen Sprüngen in der Luft konnte er ihre Richtung beeinflussen und in der Luft beinah tanzen. Manchmal lies er Fidi los, nur um dann wieder zu ihr zu springen. Es dauerte nicht lange bis Fidi wie erhofft ihre Anspannung ablegte und den Fall genoss. Sie drehte sich, sie nahm die Schübe von Elphid dankend an und spielte fliegend zwischen den Winden. Es lag eine Sanftheit in den Bewegungen von Fidi, die Elphid nicht geahnt hatte. Dennoch zog es ihn in seinen Bann.
Doch egal wie sehr sie durch die Lüfte flogen, irgendwann kam der Boden immer näher. Elphid sprang von einer ihm erdachten Wand ab, griff Fidis Hand und hielt Ausschau nach einem der Drachen. Glücklicherweise flogen auch einige von ihnen alleine herum, sonst müssten sie schnell einem Reiter erklären, was zwei Magier plötzlich auf seinem Drachen machten.
Elphid und Fidi rasten auf eine der unwissenden, fliegenden Kreaturen zu, bevor sich Elphid ihren Fall abfederte mit einem weiteren Sprung in der Luft. Sich eine dieser ausgedachten Treppen unter ihm vorzustellen, wenn er mit solch einer Geschwindigkeit zu Boden fiel, tat überraschend weh, doch er hielt es wohl aus.
Der Drache schaute recht verwundert, als er nun zwei fremde Sterbliche tragen musste. Elphid und Fidi landeten auf ihm, deutlich uneleganter als Elphid es sich vorgestellt hatte. Beinah wäre er sogar wieder heruntergefallen, hätte Fidi ihn nicht festgehalten.
»Weißt du, wie man so ein Ding fliegt?«, fragte Elphid überfordert, nachdem er die Leinen griff, die den Drachen zu steuern schienen. Fidi lachte kurz und kletterte daraufhin über Elphid in den Sattel.
»Du bist ein vollkommener Idiot, weißt du das?«, fragte sie lachend, nahm die Leinen in die Hand und zog den Drachen somit nach oben.
Elphid musste sich dolle festhalten an Fidi und dem Drachen, denn sonst würde er bald wirklich in die grüne Tiefe von Emeraldus stürzen. Fidi aber ritt die fliegende Echse wie eine Meisterin. »Woher kannst du das?«
»Die Drachen sind ein zentraler Punkt in der Streitmacht der Wachen. Vasil hat praktisch ein Monopol auf ihnen, was ihm ein massiven Vorteil gegen den Widerstand bringt. Jede Wache lernt im Laufe ihres Lebens wie man auf ihnen reitet«, erklärte sie und erhöhte die Geschwindigkeit. Rasant flogen sie durch die Lüfte von Emeraldus, doch ungefährlich blieb ihr Vorhaben nicht lange. Sobald die ersten Drachenreiter merkten, dass dort zwei Fremde einen Drachen gekapert haben, waren sie ihnen auf den Fersen.
»Ich glaube, das hat Dask nicht damit gemeint, als er gesagt hat, dass wir fürs Erste hier untertauchen müssen!«
»Das ist nur ein Problem, wenn wir uns fangen lassen!«, rief Fidi und stürzte mit dem Drachen in die Tiefe. Wind flog den beiden um die Ohren und der Boden kam immer näher. Elphid schrie auf, doch gekonnt wandte Fidi den Drachen wieder nach oben und bewahrte sie davor qualvoll zu Brei zu werden. Fidi flog nun durch das Straßennetzwerk von Emeraldus. Die Stockwerke an Straßen, die alle verwinkelt und chaotisch durcheinander führten, machten ein perfekten Hindernisparcours für das Flugabenteuer. Mit vielen Wendungen und scharfen Kurven hing Fidi ihre Verfolger ab. Sie lachte und rief vor Freude, wodurch selbst einige Kinder am Straßenrand sie anfeuerte.
Elphid wiederum kämpfte mit der Schwerkraft und seinem Magen. Nichtsdestotrotz konnte er nicht anders als zu lächeln, wenn er Fidi so unsagbar glücklich sah. Genau so musste man die Welten genießen!

»Was fällt euch beiden eigentlich ein?«, fuhr Dask sie an. »Wir hatten die Wachen ja nicht sowieso schon an unserem Arsch, jetzt fliegt ihr auch noch wie die Verrückten durch die Stadt auf einem geklauten Drachen?«
»Zu unserer Verteidigung haben wir den Drachen wieder zurückgebracht«, sagte Elphid leise. Fidi und er saßen in der Unterkunft des Widerstandes in Emeraldus und mussten sich zusammengekauert einen wahrscheinlich gerechtfertigten Tadel von Dask anhören. So genoss man die Welten sicherlich nicht…
»Glaub bloß nicht, dass es das besser macht!«
»Es war meine Idee, okay?«, sagte Elphid und schaute Dask in die Augen. »Ich wollte einfach nur Fidi zeigen, dass man auch Spaß haben kann in den Welten. Deshalb bin ich von der Insel gesprungen, auf einen Drachen und den Rest kennst du.«
Dask seufzte. »Iglias muss es wirklich nicht einfach mit dir gehabt haben, die ganzen Jahre.«
»Davon kann er dir sicher ein Lied singen«, sagte Elphid und lachte bereits wieder.
»Wir werden jetzt noch ein paar Tage hier bleiben, in der Zeit dürft ihr vorsichtig gerne noch Emeraldus erkunden. Ich schaue noch, was ich bereits aus den alten Texten übersetzen kann. Danach geht es wieder ab nach Epanas. Wahrscheinlich werde ich Elphid danach die Ahnenwelt zeigen, doch das müssen wir erst alles mit Serce absprechen. Bis dahin ist es aber vielleicht wirklich eine gute Idee, dass du Fidi zeigst, was es heißt die Welten zu genießen.«
»Wirklich?«, fragte Fidi aufgeregt.
»Verdammt, ja!«, rief Elphid aus und sprang in die Luft. »Fidi und Elphid machen Emeraldus unsicher!«
»Vorsichtig unsicher!«, warf Dask ein.
»Natürlich«, sagte Fidi. »Vorsichtig unsicher.« Sie lächelte endlich dabei.

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Ende Akt II – Ein Traum von Grün

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