Rekrutierung – Kapitel 3

»Zum Glück ist der Widerstand in guten Händen. Dask hatte schon immer einen guten Anführer mit kühlem Kopf gemacht. Serce hat die Worte und das Charisma, doch er muss erst einmal über seinen inneren Dämonen hinwegkommen… Doch sie gleichen sich aus. Ich sterbe, ohne mir Sorgen um die Zukunft des Widerstands zu machen.«

Rekrutierung

Unzählige Regentropfen übertönten das flache Atmen von Fidi. Sie versteckte sich. Sie hatte keine andere Wahl. Im Lager gab es ein Notsignal und beinah alle Dimensionswachen im Ausbildungslager vor Odomfrag, der Festung des ewigen Königs, wurden ausgesendet. Fidi dennoch weigerte sich. Sie wollte nicht ausreisen und eine Rebellenarmee, oder andere Unschuldige umbringen. Nicht schon wieder…
»Wo ist Fidi?«, fragte Lerena, eine andere Auszubildende hier im Lager. Vielleicht würde Fidi sie sogar als Freundin bezeichnen, obwohl sie nicht wusste, ob irgendjemand hier überhaupt wusste, was ›Freundschaft‹ war. Fidi vertraute Lerena nicht. Reden mochte sie auch nicht mit ihr. Von all den anderen im Lager ertrug sie es aber am meisten, mit ihr schweigend während den Mahlzeiten zu sitzen. Wenn dies das Konzept von Freundschaft war, dann wollte Fidi gar keine Freunde.
»Vielleicht ist sie schon vorgegangen. Los, wir müssen auch gehen!«, rief eine männliche Stimme, die Fidi nicht zuordnen konnte. Wenn er aber dachte, dass Fidi schon vorgelaufen war, dann konnte er Fidi nicht gut kennen. Nie war Fidi die Erste. Immer die Letzte.
Fidi spürte noch die Präsenz von Lerena. Sie schien zu zögern. Sie schien zu wissen, dass es unmöglich war, dass Fidi vorgegangen war. Vielleicht kannte Lerena sie doch? War sie doch eine Freundin? Oder nur jemand, der ein wenig besser die Leute beobachten konnte.
Dann war sie auch weg. Sie spürte niemanden mehr in dem Zelt ihrer Truppe, oder in irgendeinem Zelt in der weiteren Umgebung. Trotzdem wartete Fidi. Sie wartete immer. Lieber wartet man zu lange, als dass man zu kurz wartete. Die Ausbilder könnten ihre Präsenz verstecken vor Fidi, doch vielleicht war das nur unbegründete Paranoia.
Nach einiger Zeit kroch Fidi aus ihrem Versteck. Alles war leer. Die Bettrollen und all die Rucksäcke lagen im Chaos. Das Lager war still… Nur der Regen prasselte auf das Zelt. Hatte sie es geschafft? Sie war alleine im Lager. War dies die einmalige Gelegenheit, endlich aus dieser Hölle zu flüchten?

Fidi erwachte aus ihrer Trance. Sie hasste diese Meditationen in die Zwischenwelt zutiefst. Immer wieder spielten sie diese grauenhaften Erinnerungen aus ihrer Zeit bei den Dimensionswachen. Bei den vergessenen Göttern! Sie hasste es, dass diese Meditationen notwendig waren. Erlebten die anderen auch immer so schreckliche Erinnerungen, während sie ruhten? Zu gerne würde sie dies fragen, doch man sprach nicht über die Orte, an die man während der Meditation ging.
Mit einem weckenden Schütteln verließ sie ihre Gedanken und stand auf. Dask und Serce würden bestimmt schon warten. Hoffentlich war die Ruhe und Aufladung ihrer Magie nicht umsonst. Doch es würde sich sicherlich lohnen, wenn die Mission das war, was sie vermutete.

*

Genau auf solch eine Mission hat Fidi die ganze Zeit schon gewartet. Schnell ging sie durch die verzwickten und dunklen Tunnel von Epanas. Die paar vereinzelten Seelen des Widerstandes grüßten sie, als sie an ihnen vorbeikam. Sie tat ihr Bestes jeden Gruß freundlich zu erwidern, doch sie fühlte sich noch immer als Außenstehende in all dem hier. Das änderte aber nichts daran, dass sie voller Aufregung war. Heute Morgen hatte sie die Nachricht bekommen, dass Serce sie und Dask auf eine Mission nach Meksa schicken, um jemand sehr wichtiges zu extrahieren. Endlich würde sie auf eine wichtige Mission geschickt werden. Direkt in das Herz des Militärs der vereinten Dimensionen.
Sie warf die Tür auf, die in den Besprechungsraum von Serce führten. So wie jeder Raum in Epanas, war der Besprechungsraum kalt und steinig. Einige Holzbalken gaben der Decke Kraft, sodass die Meilen an Stein, die sich über ihnen befanden, nicht einbrachen und sie alle lebendig begraben würden. Epanas war nun einmal eine Minenwelt. Vielleicht war das nicht schön oder luxuriös, aber bei den verdammten Göttern konnte man hier gut die komplette Armee des Widerstandes verstecken. Vorausgesetzt es gäbe noch eine ganze Armee, die man verstecken müsste.
»Fidi?«, fragte Serce und blickte beinah erschreckt zu ihr auf. Mit seinen hellblauen Augen, wildem braunen Haar und dem Wappen auf seinem Umhang, eine weiße Sonne auf dem Grund von den wilden, freien und verschiedenen Farben des Widerstandes, sah Serce einfach wie der geborene Anführer aus. »Du siehst heute aber glücklicher aus als sonst«, sprach er weiter. Er wirkte immer so gelassen und zielstrebig. So als ob ihm nichts schiefgehen könnte, egal was passieren würde. Eine perfekte Fassade eines guten Mannes. Wenn Fidi es nicht besser wüsste, würde sie unablässig nach dem Fehler, dem Geheimnis von Serce suchen. Solch ein Geheimnis hatten Männer wie er nämlich immer.
»Ich freue mich einfach nur, dass ich endlich einen wichtigen Auftrag bekomme«, erwiderte Fidi. Sie versuchte ihre Vorfreude sofort wieder herunterspielen. Ein ernster Gesichtsausdruck, die Stimme monotoner, einmal tief durchatmen.
Dask, der jüngere Bruder von Serce und mehr oder weniger Fidis Lehrer, nickte ihr anerkennend zu, bevor er das Wort ergriff. »Wichtig wäre eine Untertreibung. Aber auch wenn du erst seit einigen Monaten Teil von uns bist, war ich der Ansicht, dass du die Richtige wärst, um mich auf diese Mission zu begleiten«, erklärte Dask. Er klang wie immer viel kälter und ernster als sein Bruder. Seine Haare waren kürzer, daher praktischer. Seine Augen braun, seine Kleidung grau und simpel. Er sprach immer klar und direkt, nie nahm er ein Blatt vor den Mund. Wenn man sich bei Serce anstrengen musste, um das Schlechte zu finden, musste man sich bei Dask anstrengen, das Positive zu finden. Doch er war ihr Meister und brachte ihr Gutes bei. Besseres, als es die Ausbilder bei den Dimensionswachen jemals getan haben. Zudem war seine Fassade nur so grimmig und ernst. Fidi war überrascht, wie locker Dask doch werden konnte, nach all der Zeit, die sie bereits zusammen verbracht haben.
»Ich wüsste gerne, worum es genau geht?«, fragte Fidi und trat näher an den massiven Holztisch heran. Auf diesem lag eine riesige Karte, ein Umriss der Hauptstadt von Meksa. Der Aufbau der Stadt erinnerte Fidi eher an ein viel zu großes Militärlager. So wie eines, in dem sie noch vor einigen Monaten selbst lebte.
»Meksa ist eine stark überwachte Stadt, und für gewöhnlich vermeidet der Widerstand sich auch nur in die Nähe zu begeben. Nun haben wir aber Informationen über einen Dimensionsvollkommenen erhalten, der in den nächsten Tagen dort eintreffen wird für den Anfang seiner Ausbildung«, erklärte Dask.
Ein Dimensionsvollkommener?, dachte Fidi und erzitterte. »Ich dachte, Dimensionsvollkommene gibt es nicht mehr?«, fragte Fidi vorsichtig.
»Das ist so nicht ganz richtig«, mischte sich Serce wieder in das Gespräch. »Sie sind nur extrem selten geworden. Und mit extrem selten meine ich eine handvoll Dimensionsvollkommene in jeder Generation, verteilt über alle Welten. Sie sind wie ein besonderes Sandkorn in den unendlichen Wüsten von Denos. Auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden und viel zu schwer zu finden. Wir hatten dennoch vor einigen Jahren selbst eine Dimensionsvollkommene im Widerstand.«
»Und wo ist sie jetzt?«, fragte Fidi und wunderte sich, dass sie das nicht wusste.
Dask schwieg und schien keine passende Antwort zu finden. Auch Serce zögerte einen Moment und tauschte einen Blick mit seinem Bruder aus.
»Die Arbeit im Widerstand ist leider sehr gefährlich«, sagte Serce schließlich zögerlich, jedes Wort vorsichtig gewählt, so als ob er den Segen von Dask brauchte für seine Antwort. »Auch jemand mit den Kräften eines Dimensionsvollkommenen ist da nicht vor dem Tod geschützt.«
»Möglicherweise noch weniger als wir normalen Magier«, ergänzte Dask leise. »Denn wenn die Regierungen wissen, dass du existierst, dann geben sie alles, um dich in die Hände zu kriegen. Für sie bist du eine Waffe, kein Mensch.«
Fidi schwieg einen Moment. Was würde das für diesen unbekannten Dimensionsvollkommenen bedeuten? Weiß er überhaupt selbst, zu was er in der Lage ist? Fidi wusste, was es mit ihr gemacht hatte, eine besondere Fähigkeit zu besitzen. Was muss das ganze wohl mit ihm machen…
»Genau deshalb müssen wir diesen Jungen vor den Dimensionswachen beschützen. Also geht ihr darein, holt den Jungen, bringt ihn nach Epanas und dann habt ihr eure gute Tat auch getan«, sagte Serce und lächelte breit, um die Stimmung wieder zu heben.
»Auch wenn Serce gerne alles auf die leichte Schulter nimmt«, sagte Dask wieder mit ernster Stimme und schaute mahnend seinen Bruder an, der nur verteidigend mit den Schultern zuckte. »Wird dieser Auftrag sehr gefährlich. Du kennst dich aber am besten mit der Art und Weise aus, wie die Dimensionswachen arbeiten.«
Fidi schaute etwas bedrückt zu Boden. Sie wusste, dass Dask recht hatte, aber irgendwie schmerzte es trotzdem. Nach all den Monaten hoffte sie irgendwie einfach, dass sie wegen ihrer Fähigkeiten eingesetzt wird, und nicht weil sie eine geflüchtete Dimensionswache war. Schnell aber fasste sie sich wieder und schaute entschlossen wieder zu Dask und Serce hoch. Dask schaute nur auf die Karte vor ihnen, doch sie erwischte Serce, wie er mitleidig zu ihr schaute.
»Dies ist der Platz, an dem sie ihn wahrscheinlich aufnehmen werden«, sagte Dask und zeigte auf eine große Trainingsfläche im Zentrum der Stadt. »Solch ein besonderes Ereignis werden sie im Lager zur Schau stellen wollen. Zu zeigen, dass sie nun im Besitz solch eines mächtigen Magiers wären, würde viel für die Moral der anderen Wachen machen.«
»Es gibt Zuschauertribünen«, erklärte Fidi und zeigte auf den Westeingang des Trainingsplatzes. »Sie sind für die Familien der Wachen.
Dask und Serce schauten Fidi völlig überrascht an. »Familien?«, fragte Serce entsetzt. »Ist es nicht verboten für Dimensionswachen Familien zu gründen?«
»Die Wachen in Meksa genießen gewisse Privilegien. Sie sind meist die Bürokraten und Denker der Armee und nicht diejenigen, die durch die Welten reisen. Der Gedanke dahinter, diesen Wachen das Recht zu geben, Familien zu gründen, war, dass somit neue Wachen ›gezeugt‹ werden können. Kinder, die von Geburt an nur die Lebensweise des Militärs kennen«, erklärte Fidi. Sie hasste es über dieses Thema zu sprechen, aber sie wusste, dass es hilfreich war für den Widerstand. Also riss sie sich zusammen und erhielt die Fassade.
»Dann verschaffen wir uns Eintritt zu der Zuschauertribune und holen das Ziel in einem passenden Moment raus. Ich werde Chaos schaffen, du fliehst mit ihm zu einem halbwegs sicheren Ort«, sagte Dask. Sein Blick war entschlossen. Er erklärte diesen Plan so einfach, doch letztendlich würden sie vor allen Augen, in der Hauptstadt des Militärs, einen Dimensionsvollkommener ›entführen‹.
»Es werden Ausbilder da sein. Das weißt du doch, oder?«, fragte Fidi eindringlich. Dask nickte ihr nur zustimmend zu. Er kannte jede Gefahr, aber Sorgen schien er sich keine zu machen. Fidi beruhigte das. Diese kühle und sichere Art, wie ein Fels in der Brandung. Die Erfahrung in der Außenwelt war leider immer noch ein neues für sie. Umso dankbarer war sie für Dask seine Art. Genauso wollte sie auch werden, das strebte sie an.
»Wenn ich noch eines Wissen darf?«, fragte Fidi bevor die Besprechung abgeschlossen werden würde. Dask rollte die Karte auf dem Tisch schon zusammen. »Wer ist euer Informant? Woher kennt er diesen Dimensionsvollkommener und wieso können wir ihm trauen? Es könnte doch nur eine Lüge sein, um wichtige Personen des Widerstandes direkt in die Höhle des Drachen zu schicken?«
»Deine Sorgen sind berechtigt. Sollte dies eine Lüge sein, wäre es eine verdammt schlaue um jemanden wie dich und Dask in das Herz der Dimensionswachen zu locken. Ihr seid zumindest Teil der meistgesuchten Sterblichen in all den Welten. Unsere Quelle ist dennoch vertrauenswürdig. Er ist ein guter Freund aus lang vergangenen Zeiten. Wir glauben ihm, auch wenn wir lange nichts von ihm gehört haben«, antwortete Serce und nahm wieder Platz an dem Tisch. Es war immerhin noch sein Arbeitszimmer, auch wenn es ebenfalls als Besprechungsraum fungierte.
»Jemand aus dem Widerstand?«, fragte Fidi.
Serce lachte kurz auf bei der Frage, auch wenn Fidi nicht verstand, was so witzig sein sollte. »Nein, keiner aus dem Widerstand. Es ist komplizierter als das, aber auf eurer Reise kann Dask dir sicherlich von Iglias erzählen.
»Versuch dir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, Fidi«, sagte Dask und hielt ihr die Tür offen. »Wir brechen morgen bereits auf. Da es eine lange Reise wird, solltest du dir deine Sorgen und Fragen dafür aufheben. Sonst könnte es langweilig werden.«

Fidi saß in ihrem Zimmer, ihr Mantel der Dimensionswachen vor ihr ausgebreitet. Sie wusste, sie muss ihn morgen sicherlich anziehen. Wenn man in das Herz der Exekutive von Vasil eindringen will, hilft es auszusehen wie die Wachen. Sie hasste den Gedanken trotzdem, denn dieser Mantel war mit zu vielen schlechten Erinnerungen gefüllt. Ein Umhang ihrer Vergangenheit, denn sie immer in der Nähe haben musste.
Ein leichtes Klopfen unterbrach ihren Gedankenfluss. »Fidi, störe ich?«, fragte die Stimme von Serce draußen. Fidi öffnete die Tür und fand den Anführer des Widerstandes vor sich mit seinem typischen Lächeln. Wenn Serce aufhörte zu lächeln, ist der Tag gekommen, an dem die Dimensionen verloren sind, dachte Fidi und ließ ihn hinein.
»Der Mantel trägt ein großes Gewicht mit sich, nicht wahr?«, fragte er und schaute auf das ausgebreitete Kleidungsstück. »Ich hoffe du weißt, dass wir deine Fähigkeiten und vor allem dich als Person sehr schätzen. Du bist kein Teil des Widerstandes, weil du eine geflüchtete Dimensionswache bist. Du bist ein Teil von uns, weil du Fidi bist.«
»Weiß Dask das auch?«, fragte Fidi gerade heraus. Sie wollte es nicht so direkt sagen, doch nun war es draußen.
»Er kann speziell sein. Worte sind nicht so seine Stärke, doch das solltest du mittlerweile wissen. Besonders für Dask bist du so viel wichtiger als andere hier. Dask fühlt sich für dich verantwortlich und setzt großes Vertrauen in dich. Ansonsten würde er dich nicht zu beinah all seinen Missionen mitnehmen, von dem ganzen persönlichen Training abgesehen. Manchmal fühle ich mich schlecht, dass ich mich nicht halb so gut um ihn gekümmert habe, als wir noch klein waren.«
Fidi lächelte schwach. Für jedes Wort, was Dask nicht fand, wenn er sprach, fand Serce immer genau das passende.

Comments

Eine Antwort zu „Rekrutierung – Kapitel 3“

  1. Avatar von Spike
    Spike

    Die Figuren gefallen mir und du arbeitest schön ihrenUnterschiede aus…da kann man sie sich besser vorstellen.
    Auch das Tempo der Neuvorstellungen ist gut, weiter so.

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