Liebe in Stein gemeißelt – Kurzgeschichte

Liebe in Stein gemeißelt – Kurzgeschichte

Der starke Regen verdüsterte diesen Wendepunkt in der Geschichte dieser Welt. War dies ein Zeichen, von den großen und unbekannten Mächten? Wer war der wahre Verlierer nun? Die Regentropfen fielen sanft von dem Gesicht von Billy. Beinah musste er seine Augen geschlossen halten, denn der Regen stach wie Messer in seine Augen, doch er konnte sie nicht schließen. Er musste in ihre Augen gucken. Für ihn war es klar, wer der Verlierer dieser Entscheidung war.
»Amie, bitte sag mir, dass das nicht wahr ist…«, seine Stimme zitterte, vielleicht sogar noch mehr als sein Körper es tat. Amie, die Frau, oder eher die Göttin, die ihm gegenüber stand, hielt seine Hände. Dies änderte nichts an seinem Zittern, denn auch ihre Hände konnten keine Millisekunde stillhalten.
»Der Rat hat entschieden. Ich…ich muss gehen«, bestätigte sie ihm, doch konnte diese Worte kaum über ihre eigenen Lippen bringen. Ihre Tränen wurden vielleicht verdeckt durch den ganzen Regen, doch Billy wusste es besser. Es war etwas Unmögliches, in diesem Moment nicht zu weinen. Obwohl es ein seltenes Opfer der Ratsentscheidung sein würde, traf sie Billy und Amie wohl nicht leichter.
Gemeinsam standen sie an ihrem letzten Tage auf einem Feld. Doch für sie war es nicht irgendein Feld. Es war das Feld, an dem sie immer flüchteten, wenn die Politik, die Gesellschaft, oder ihre Familien zu viel wurden. Abseits der Stadt, umgeben vom Schutz der Bäume. Hier konnte ihre verbotene Liebe ein Zuhause finden.
Billy war ein Künstler, ein Musiker, ein Poet. Normalerweise konnten diese Berufe nur von wirklich reichen Sterblichen gelebt werden, oder als Nebenbeschäftigung der Götter. Billy war anders, und zwar in vielerlei Hinsicht. Er war der Sohn eines Schmiedes, und genoss dort auch eine Ausbildung von seinem Vater, die aber ihm keine Freude bescherte. Immer wieder versuchte er vielleicht die Kunst in der Schmiedekunst zu sehen, doch es funktionierte nie. Nie konnte er die selbe Freude erbringen wie sein Vater. Ihn begeisterte das Schreiben. Das Dichten und Denken war es, was ihn erfüllte. Dies aber in seiner Situation auszuleben war ein Unmögliches. Er bat seine Eltern um ihren Segen, doch wurde vollkommen abgelehnt. Nur eine Person, eine Frau, schätzte seine Kunst. Und diese Frau schaute nun in seine weinenden Augen und erklärte ihm, dass sie ihn verlassen musste. Alles nur, weil die Götter sich verführen haben lassen.
Sie schrecken zurück. Das erste Mal stellt sich etwas gegen sie, und sofort greifen sie zur Flucht…
»Das ist nicht fair«, er wendete seinen Blick in den Himmel und schrie ihn in voller Verzweiflung an. »Jeden Tag erleiden wir Schmerzen! Unser ganzes Leben kämpfen wir, und diese Welt hasst uns! Jeden Tag leben wir in Angst! Doch sobald ihr einmal in Schwierigkeiten geratet, so lasst ihr uns zurück?«
Er schrie die Götter an. Etwas, was in den letzten Wochen zu einer Regelmäßigkeit wurde, egal ob Götter oder Sterbliche.
Amie krallte ihre Finger in den Rücken von Billy. Sie versenkte ihren Kopf in seiner Brust und atmete schwer. Die Verzweiflung in seinem Schrei brach ihr das Herz. Sie war Teil der Gruppe, die er gerade verfluchte. Doch mit Recht. Sie war immer anders gewesen als die anderen Götter. Sie pflegte den Kontakt zu den Sterblichen ihr ganzes Leben. Dies ging soweit, dass sie sich irgendwann in einen von ihnen verliebte. Sie wurden von den Göttern dafür verachtet.
»Es kann keine Liebe zwischen Sterblichen und Göttern geben!«, waren die Wörter einiger Ratsmitglieder. Noch ausfälliger waren die Worte ihres eigenen Vaters. Ihm wird es gefallen, dass sie nun diese Welt verlassen.
»Endlich wird seine Tochter diesen Nichtsnutz eines Sterblichen vergessen!« So etwas wird er sich wohl denken, da war Amie sich sicher.
Nur einer der Götter, konnte sie wirklich verstehen. Ios war der einzige, der ihr besonders Unterstützung anbot. Er wusste wie es war, mit den Sterblichen in Kontakt zu stehen. Zwar liebte er nie eine Sterbliche, doch er liebte die Sterblichen als Gesamtes. Er konnte Amie verstehen.
»Billy, bitte…«, ihre Stimme war schwach. Billy hatte seine Arme um sie gelegt, doch sein wütender Blick galt immer noch dem Himmel.
»Bitte lass uns nicht so zu Ende gehen…«
Billy erstarrte. Sein Blick wendete sich nach unten und sah wie die Frau die er liebte beinah zusammenbrach, in seinen Armen. Es erinnerte ihn daran, wie er sie damals betrachtete. Durch ihr Versteckspiel zu Beginn ihrer Liebe, war er es gewohnt sie aus der Ferne zu betrachten. Sie war der Lichtblick in seinem Leben, den er so dringend brauchte. Sie war das ehrlichste, reinste und schönste, was er je gesehen hatte.
Es war nicht fair. Sie waren doch füreinander gemacht? Niemand anderes konnte dafür sorgen, dass er sich so fühlt wie bei ihr. Alles Schlechte in der Welt verschwand mit ihr. Seine Eltern, die ihn verachteten? Das Leben an der Armutsgrenze? Das tägliche Sterben der Sterblichen, sowie die Ignoranz der Götter? Es spielte alles keine Rolle, wenn er bei ihr war.
Aber eigentlich wusste er, dass er nur ein kleines Kapitel in ihrem unendlichen Leben war. Seine Lebensspanne war wie ein Blinzeln für sie. Jedes Mal als er sie von der ferne bewunderte, zerstörte ihn die Erkenntnis, dass sie irgendwann getrennt werden würde. Es war immer klar, dass ihr Leben irgendwann ohne ihn weitergehen musste. Doch so früh? Er spürte ihr Zittern an seinem ganzen Körper. Er spürte wie ihr Tränen in seiner Kleidung verflossen. Vor allem spürte er, wie jede Hoffnung sie verließ. Musste es wirklich so enden? Hatten sie keine andere Wahl, als getrennt zu werden, nur weil ein Rat dies aus Angst entschieden hatte? Wie konnte es sein, dass das Leben sie so früh trennte?
Ich kann die Götter verfluchen wie ich will. Das wird nichts daran ändern, dass sie geht, dachte Billy.
Was konnte er tun? Er war vielleicht ein Poet, doch ein Optimist war er eigentlich nie. Immer wenn er der wahren Welt gegenübertreten musste, erwartete er das schlimmste. Immer wieder versteckte er sich in seinen Werken, als die Realität zu schwer wurde. Es gab nur bestimmte Momente, in denen der Regen schön war. In denen der Wind nicht brüllte, sondern sang. In denen die Wolken nicht erstickend, sondern umarmend wirkten. Und vor allem die anderen Menschen nicht beängstigend waren, und nicht dafür sorgten, dass er Panik im ganzen Körper verspürte.
Und dies waren die Momente mit Amie.
»Kennst du meine Geschichte über Remo und Ilia?«, fragte er sie.
Sie hob den Kopf nicht, doch ihr weinen, und zittern wurde weniger.
»Ich kenne all deine Geschichten. Du hast sie mir hunderte Male vorgelesen«, sagte sie, und ihre Stimme war sicherlich noch leise und am zittern, doch es war ein wenig besser.
Billy lächelte leicht.
»Es war die Geschichte von zwei Liebenden. Ihre beiden Familien standen sich direkt gegenüber. Er war ein unbedeutender Sklavenjunge, und sie die Tochter eines reichen Händlers«, fing er an zu erzählen, und legte seinen Kopf auf ihren.
»Sie lernten sich kennen, als der Junge am betteln war. Er fragte jeden Fremden nach ein wenig Kleingeld, nur sie nicht. Als sie ihn fragte wieso, sagte er, dass er sich nicht traute solch eine wunderschöne Frau zu belästigen mit seinen Sorgen«, erzählte sie die Geschichte weiter. Ihre Stimme war immer noch leise, aber sie war nicht mehr am zittern.
»Geschmeichelt gab sie ihm doch Geld. Er konnte es aber nicht annehmen, doch sie kamen ins Gespräch. Sie war fasziniert von dem Sklavenjungen, und er geschockt mit ihr Reden zu dürfen«, fuhr er fort und streichelte Amie für weiteren Komfort.
»Sie begannen jeden Tag zu reden. Er verliebte sich schnell in sie, doch wusste wie dämlich dies war. Sie war praktisch wie eine Göttin für ihn. Vollkommen unerreichbar. Und auch wenn er sich zu erst verliebte, verliebte sie sich noch viel stärker in ihn. Er war kein Gott für sie. Er war etwas viel wichtigeres. Er war ein guter Mensch.«
Amie hielt Billy fest in ihren Armen und suchte seinen Komfort.
»Die Eltern von Ilia waren fassungslos vor Wut, als Ilia sie fragte, ob sie den Sklavenjungen befreien könnten. Eines aber wusste Ilia nicht, und Remo verheimlichte es ihr. Jeder Sklave trug einen Stachel in sich. Er wurde ihnen bei der Geburt eingesetzt. Falls sie rebellierten, oder etwas verbotenes taten, wurde dieser Stachel gezogen. Dies bewirkte, dass ein Gift in seinem Herzen freigesetzt werden würde. Der Sklave wurde freigelassen, und innerhalb weniger Stunden würde er sterben. Sich in eine reiche Händlertochter zu verlieben, würde sein Schicksal besiegeln. Er sagt es aber nie Ilia, denn er hielt es für unmöglich, dass sie ihren Eltern von ihm erzählte. Sie war wie gesagt, unerreichbar für ihn«, sagte er, und hielt sie umso fester. Den Komfort den sie suchte fand sie leicht.
»Am Tag seinen Todes ging Ilia zu ihm. Sie brach zusammen, als sie erfuhr was sie getan hatte. Sein Stachel wurde bereits gezogen, und nur noch wenige Stunden blieben ihm übrig. Doch anstatt zu trauern, gingen sie fort. Sie suchten sich einen Hügel außerhalb der Stadt. Dort verbrachten sie die letzten Stunden von Remo zusammen, bis er seine Augen schloss und nie wieder erwachte. Und Ilia? Sie fand ihr Ende genau da wo sie es wollte. Direkt neben der Liebe ihres Lebens, in seinen Armen. Sie schlief ebenfalls ein, und wachte nie wieder auf.«
»Sie starb an einem gebrochenen Herzen…«, beendete Billy die Geschichte.
Die Beiden blickten sich in die Augen. Sie wussten nun, wie auch ihre Geschichte enden würde.
Keine Worte mussten ausgetauscht werden. Ihnen war es beide klar. Hier auf der freien Fläche, ein wenig außerhalb der Stadt, würden sie zusammen ihren Frieden finden. Sie waren die einzigen Personen in ihrem Leben, die sie verstanden. Welchen Sinn hätte es gehabt, ohne den anderen weiterzumachen? Sie standen dort, Arm in Arm. Der Regen hörte auf.
Sie konnten es nicht wissen, denn sie hatten nur noch Augen für sich, und ihre unendliche Zukunft die ihnen nun bevorstand, aber der Regen hörte nicht wirklich auf. Nur auf sie schien die Sonne herab. Alls um sie herum war grau und nass. Doch sie? Sie spürten den Sonnenschein. Sie waren auf diesem Feld der Traurigkeit, und der Angst, der kleine Funken von Hoffnung.

Heute ist diese Welt eine noch viel traurigere, nachdem die Götter verschwunden waren. Doch wenn man auf dieses Feld, auch nach all den Jahrhunderten gehen würde, so wird man eine Statue finden. Zwei versteinerte Figuren stehen dort auf dem Feld, Arm in Arm. Es waren Billy und Amie. Das Schicksal verewigte die Liebenden hier auf diesem Feld. Und so fanden sie das gemeinsame Ende, was sie sich immer gewünscht hatten. Für die Sterblichen sind sie ein Symbol der Hoffnung.
Und bis heute scheint auf sie die Sonnenstrahlen hinab.

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