»Was passiert mit dem Geist eines Sterblichen, nach seinem Tod? Was kommt danach?
Solche Gedanken machen mir jedes Mal Angst…«
Hurensöhne der Welten
Ort: Welt der Drachen, Drakos.
Noch nie verstand Elphid so schnell, warum er eine Schutzmaske brauchte. Als er von Drakos, der Welt der Drachen gehört hatte, verschlug in das in Ekstase. Schon die fliegenden Echsen in Emeraldus faszinierten ihn und der Flug auf ihnen mit Fidi war so eine besondere Erfahrung. Wie musste also eine ganze Dimension voller Drachen sein?
Die Antwort auf die Frage? Voller Rauch, schlechter Luft, man konnte kaum zehn Meter vor sich schauen und es war so höllisch heiß hier!
»Ich wünschte, ich könnte mich irgendwie abkühlen! Warum muss es denn so warm sein hier?«, heulte Elphid herum und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
»Frischfleisch hat recht!«, stimmte sich Chaos ein. »Meine Güte, wenn ich hier nicht was Schönes weg bekomme, dann ist der ganze Ausflug für die Katz!«
»Drakos mag eine unangenehme Welt sein, aber sie ist essentiell. Vasil besitzt die gesamte Kontrolle über die Drachen und das gibt ihm einen wahnsinnigen Vorteil. Jeder Fortschritt hier hilft uns massiv«, erklärte Fidi und ging weiter durch den mit Asche bedeckten Boden. Um sie herum standen überall Bäume, die längst ihre Blätter verloren haben. Ein falscher Windstoß und Elphid könnte schwören, dass sie zusammenbrechen würden.
»Also die Welten, die zu viel von Vasil beeinflusst werden, verlieren ihre Schönheit. Ist das auch hier der Fall?«, fragte Elphid und fing an zu husten.
»Weniger atmen«, rief Chaos hinter ihm.
»Wie soll ich das denn bitte machen?«
»Drakos verlor ihre Schönheit auch durch Vasil, aber anders. Die Drachen wurden zu viel gezüchtet und durch die Überpopulation wurde das gesamte Ökosystem zerstört. Drakos sollte mal ein wunderschöner Ort sein, aber das ist lange her.« Auf einem Hügel blieb Fidi stehen und blickte in den Himmel. Elphid tat ihr gleich, aber sah nichts. »Die Ironie des Schicksals? Ihre Merkmale, die von Drakos, wuchsen zwar durch den schlechten Einfluss von Vasil, aber kaum sichtbar für die meisten Sterblichen. Auf morbide Art und Weise wurden sie durch das Böse immer wunderschöner, doch auch geheimnisvoller.«
»Ihre Merkmale?«, fragte Elphid.
»Ein dumm großer Drache und ein noch dümmerer größerer Ring im Himmel«, sagte Chaos hinter ihnen. »Ich sag’ es so wie es ist, aber für jeden lebenden Drachen in dieser Welt, scheint es zwei Tote zu geben. Die fliegen hier überall herum.«
Chaos tat das immer. Tatsächlich erst an dem Gespräch teilnehmen und dann im zweiten Satz völlig das Thema wechseln und so interessant Geisterdrachen auch waren, wollte Elphid erst einmal das andere in Erfahrung bringen.
»›Die Himmelsringe‹ und der ›unendliche Schmerz‹, ist das, was sie meint. Die Himmelsringe sind ein atemberaubendes, natürlich entstehendes Konstrukt, in der Atmosphäre der Welt. Bestehend aus Rauch, Feuer und Wolken, formen die Himmelsringe einen strahlenden Kreis, in denen die entstehenden Wolken genau gegensätzlich zu klassischen Wolken funktionieren. Sie ragen mit Spitzen in Richtung Boden und bilden somit dein Eindruck einer riesigen Stadt, die auf dem Kopf steht. Die Wolken der Himmelsringe nennt man daher auch Wolkenkratzer. Durch die Überpopulation der Drachen haben sie viel größere Ausmaße angenommen, doch der ganze Rauch, der sie auch größer werden lässt, verdeckt leider auch den Sterblichen die Sicht.«
Elphid gab sein Bestes, um sich die Himmelsringe vorzustellen, aber schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass er doch bald einen sehen durfte. »Chaos sagte aber noch etwas über einen Drachen?«
»Der ›unendliche Schmerz‹ soll ein Wesen sein, das nicht einmal aus dieser Welt kommt. Er war ein alter Gefährte vom Dimensionsgeborenen Peod, doch wurde hier heimisch, nachdem Peod verschwand und den offenen Krieg gegen Vasil aufgab. Laut der Legende wächst der unendliche Schmerz ohne Limit, denn er wächst eben nicht auf übliche Weise. Je mehr Schmerz und Trauer es in den Welten gibt, desto größer ist er. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie riesig er mittlerweile tatsächlich sein mag. Manche Sterbliche behaupten ihn gesehen zu haben, aber es ist selten, denn er fliegt hoch in den Lüften von Drakos. Manchmal aber kommt er dem Boden, oder zumindest den Bergen näher, denn dort, so sagt man, rammt er sich immer wieder in die Bergspitzen und fügt sich selbst Wunden zu. All das tut er, um irgendwie mit seinen unendlichen Schmerzen klar zukommen.«
»So ein Drachen gibt es wirklich?«, fragte Elphid begeistert. »Fantastisch! Ich meine, schade, dass er so leidet, aber man! Der muss interessant sein!«
»An unserer Stelle hoffe ich eher, dass wir ihm nie begegnen. Ein Drache, der unendliche Schmerzen erlebt und so groß wie Berge ist, klingt nicht nach einem angenehmen Kumpanen.«
Ihre Reise zog sich hin, zumindest war es das, worüber sich Chaos ständig beschwerte. Für Elphid und Fidi wiederum, war es eine wunderbare Abwechslung. Elphid war wirklich viel beschäftigt in letzter Zeit und konnte somit kaum Zeit mit ihr verbringen, was er ätzend fand. Klar, Drakos war nicht Emeraldus, von der Schönheit her, doch er glaubte langsam, dass die Begleitung die Schönheit eines Ortes ausmachte. So verbrachten die beiden die Reise mit viel Reden, vielen Dummheiten und einem Gefühl, dass die Welten doch ganz okay waren, auch wenn eine von ihnen direkt um sie herum abbrannte.
Chaos wechselte hin und her und Elphid fand, dass sie unruhiger und chaotischer war als sonst, was bei ihrem Namen merkwürdig war. In einem Moment beschwerte sie sich über die Reise, im nächsten machte sie bei den Dummheiten von Elphid mit, stritt sich dann kurz mit Fidi, wonach sie wieder verstummte. Es waren diese ruhigen Momente, die Elphid Sorgen machten.
Nichtsdestotrotz kamen sie eher später als früher an ihrem Ziel an: ein kleines Dorf in Drakos. Es wirkte unbedeutend, aber Fidi versicherte den anderen, dass kein Ort in dieser Welt unbedeutend war. Wenn es auch nur die Chance gab, dass hier jemand einen Drachen besaß, an den der Widerstand kommen könnte, wäre dies unbezahlbar wichtig.
Elphid wiederum bekam einfach nur ein warmes Herz, und das lag nicht an dem sonst so heißen Klima, bei dem Anblick eines kleinen Dorfes, mitten im Nirgendwo. Sofort erinnerte es ihn an seine Heimat, die er genau in diesem Moment erneut vermisste.
Vor dem Dorf aber schrie Chaos aus: »Leute, hier draußen scheint noch was Wichtiges zu sein!
Fidi und Elphid drehten sich um.
»Ganz viele Geisterdrachen drängen mich praktisch in diesen Wald zu gehen. Sie sagen so etwas wie ›Papa, da!‹«
»Ist es wirklich Zeit für eine deiner Geistergeschichten?«, nölte Fidi herum.
»Ist es vielleicht nicht mal Zeit, dass du einmal kein herablassendes Arschloch mir gegenüber bist?«
Elphid beruhigte die beiden und letztendlich gingen sie in den Wald. Obwohl Wald hier immer ein großzügiger Begriff ist, mit den ganzen toten und grauen Bäumen, ohne ein einzelnes Blatt an den Ästen. Sie kamen an einer Hütte an, gebaut aus schwarzem Stein, der eher angekokelt aussah, als dass es seine natürliche Farbe war. Davor stand eine Gestalt, eine Frau wie es schien, mit waldgrünem Umhang. Ihre langen, braunen Haare lagen frei und in die Rauchmaske in ihrem Gesicht sah anders aus, als die von ihnen. Sie war kleiner, eleganter und smaragdgrün.
»Besucher tauchen hier selten auf«, sagte sie, ihre Stimme war kein bisschen gedämpft von ihrer Maske.
»Ich will ja nicht vorlaut sein, aber sie kein mir nicht wie ein Vater der Drachen«, flüstere Elphid Chaos zu.
»Wir sind nicht wirklich Besucher, sondern eher aus diplomatischer Natur hier«, antwortete Fidi der Fremden.
»Reist ihr auf den Spuren des Dimensionsgeborenen?«, fragte die Fremde und Elphid schnappte überrascht nach Luft.
»Aye, in den Fußstapfen des Ersten, gelehrt von Epan, geführt von Blut«, antwortete Fidi und schlug sich die Faust auf die linke Brust.
Die Fremde erwiderte den Gruß. »Aye, in den Fußstapfen des Ersten, gelehrt durch Glaube, zusammen im Schmerz«
»Zusammen im Schmerz?«, fragte Fidi nach.
»Eine Rede für uns isolierten Widerständler in Drakos.«
Fidi nickte und auch Chaos schien zu verstehen. Elphid zögerte nachzufragen und entschied sich dafür es einfach später zutun.
»Mein Name ist Silvas«, stellte sich die Fremde vor. »Wenn es euer Ziel ist in das Dorf dort hinten zu gehen und sie zu überzeugen, verschwendet ihr leider eure Zeit. Sie sind stur und leben in Angst. Sie haben mich schon vor vielen Jahren verscheucht, ihnen ist nicht zu helfen.«
»Aber wenn sie dich verscheucht haben, warum lebst du noch hier?«, fragte Elphid neugierig.
Silvas beobachtete Elphid einen Moment und lächelte dann leicht. »Diese Gegend, sie ist besonders für mich. Etwas lebt hier, was mir wichtiger ist, als alles andere in den Welten. Etwas, das ihnen im Dorf Furcht einjagt. Solltet ihr trotzdem hineingehen und euer Bestes versuchen, werdet ihr schnell herausfinden, was ich meine. Gewöhnliche Gesandte des Widerstandes werden sie aber nicht erhören.«
»Oh, ich kann dir versichern, dass die beiden hier keinen gewöhnlichen Gesandten sind«, schaltete sich Chaos wieder ein und warf jeweils ein Arm um Elphid und Fidi. »Die kleine hier? Geflohene Dimensionswache. So eine erlebt man eigentlich nie mit eigenen Augen, das kann ich dir sagen, und der kleine hier? Haste schonmal was vom Kind der Sonne gehört? Unsere kleine Hoffnung hier hat einen ganz besonderen Einfluss, was Sterbliche angeht«
Elphid duckte sich schüchtern weg, doch was gesagt war, konnte man nicht zurücknehmen. Zu Elphids Überraschung wiederum nickte Silvas einfach nur.
»Probiert es gerne aus«, sagte sie. »Wenn ihr mich entschuldigt? Es wird Zeit für mich einen alten Freund zu besuchen…«
Silvas drehte sich um und verschwand in ihrer Hütte. Wortlos standen die anderen da.
»Komische Tante«, sagte Chaos und schlug sich demonstrativ aufs Knie. »Na dann wollen wir doch mal ein paar Unumkehrbare umkehren!«
›Unumkehrbare umkehren‹ stellte sich sehr schnell als weniger überraschend schwer heraus.
»Wir wollen nichts mit Reisenden und Flüchtigen am Hut haben«, sagte die eine extrem unfreundliche Wache am Dorftor zu ihnen. Glücklicherweise gelang es Fidi, unter anderem mit der außergewöhnlichen Hilfe von Chaos, diplomatisch in das Dorf hineinzugelangen. Elphid konnte leider nichts dazu beitragen und stand wie ein hilfloses Kind hinter seinen zwei Müttern, die gerade noch absprachen, mit der grausigen Wache, dass sie doch mit ihrem Kleinen in das Dorf durften.
Ein schreckliches Gefühl, denn Elphid fühlte sich hilflos und zu nichts zu gebrauchen. Bedauerlicherweise brachte der Anblick des Dorflebens seine Stimmung nicht nach oben, wie erhofft, sondern schleuderte sie weiter in Richtung Keller.
Alles, was sein Dorf auszeichnete, fehlte hier. Keine sorglosen Eltern, sondern Erwachsene, die mit ängstlichen, wütenden oder herabschauenden Blicken auf sie schauten. Kinder, die nicht neugierig schauten, sondern beinah verstört sich hinter Wänden, Kisten und Steinen versteckten.
Dorfoberster Kalin war keine positive und charismatische Persönlichkeit, sondern ein alter Mann, der die besten Jahre seines Lebens, falls es sie je gab, längst hinter sich gelassen hatte. Sein Leben lang führte er ein Ort an, der umgeben war von Feuer, Rauch und der Unsicherheit von Nahrung und Schutz. Er war die Art Anführer, die nicht sagte »die Zeiten sind schwer, doch unsere Gemeinschaft ist alles, was uns immer sicher bleibt. Wir haben bis hier hin überlebt, also werden wir auch weiter überleben«, sondern eher etwas wie »Essen ist knapp, ich bin in meinem Haus. Ach übrigens, sollte jemand von außen kommen, der Hilfe verspricht, schickt ihn unbedingt weg!«
»Aber Sir«, sagte Fidi, nachdem Kalin beinah das Gespräch schon abgebrochen hatte, das sich seit gut 15 Minuten nur im Kreis drehte. »Wir sind neu aufgestellt und mit den momentanen-«
»Es ist mir schlichtweg egal, wie sehr ihr euch geändert habt oder was ihr jetzt plant«, fuhr er sie weiter an. »In meiner Lebzeit habe ich bereits einmal den Fehler gemacht und solchen wie euch Hilfe angeboten. Nie wieder sind sie zurückgekehrt! Viel schlimmer als das? Persönlich wurde das Dorf bestraft von den Drachen, da wir ungehorsam waren! Unsere Lage ist weit entfernt von optimal, doch ich werde einen Teufel tun und uns weiteren Gefahren aussetzen. Also bitte seit doch so gut zu euch selbst und hört auf meine Zeit zu verschwenden!«
Worte trafen oft schmerzhaft. Das war eine Lektion, die Elphid langsam wirklich verstand. Abgewiesen werden von anderen, die offensichtlich leiden, den man aber helfen kann, war so ein erstickendes Gefühl, dass Elphid es nie beschreiben könnte. Nicht ein Wort verlor er, seitdem sie dieses Dorf betreten hatten, da er nicht wusste, was er sagen sollte. Wäre er dabei ein stinknormaler Sterblicher gewesen, wäre das, so glaubt er, kein Problem. Leider aber gab es einige, und zwar nicht wenige, die viele Erwartungen auf ihn platzierten. Ich muss diesem Dorf helfen, dachte er. Warum musste er das? Was war der erste Gedanken, der erste Grund, der ihm einfiel, warum er diesen armen Leuten helfen musste? Weil er es wollte? Weil es das Richtige war?
Weil die anderen das erwarten.
»Nein, bitte!«, floh Elphid und brach damit endlich das Schloss auf, das seit seiner Ankunft hier ihm den Mund versperrte. »Keiner wird euch bestrafen und niemand wird sterben! Alles, was wir wollen, ist helfen! Warum könnt ihr das denn nicht sehen? Wir…Wir….Also…«
Elphid verlor sich in seinen Worten und kämpfte mit den Tränen. Er war hilflos. Beinah kam ihm sogar eher der Gedanke ein Schwert zu materialisieren und das Dorf dazu zu zwingen, ihn zu erhören.
»Wir. Wir. Wir.«, ahmte ihn der Alte nach. »Heuchelei! Ihr tut so, als ob ihr der Retter in der Not wärt, dabei redet ihr nur von euch selbst! Ich weiß, was ihr hier eigentlich bezwecken wollt. Warum eure Gruppe sich immer wieder die Mühen in Drakos macht, denn ihr wollt nichts anderes als die Drachen. Euch sind die Sterblichen hier egal, oder sie werden maximal zu Kanonenfutter! ›Neu aufgestellt‹, dass ich nicht lache. Hängt der schwarze Magier noch bei euch herum? Sein Bruder, der Blutteufel vielleicht auch? Was ist mit ›Fäuste‹«. Elphid blickte hinter den Tränen hoch. »Eine Gruppe von Kriegsverbrechern seid ihr! Der eine opfert das Blut der Toten, Frauen und Kindern für seine eigene Macht, der andere schlachtet und rächt ohne jegliche Moral und schläft am besten noch mit den Göttinnen persönlich und wenn dein Name ›Fäuste‹ ist, wissen doch schon alle was, Programm ist! Die Eltern der Zwillinge können froh sein in dem Feuer gestorben zu sein und die Mutter von dem anderen Mörder hat bekommen, was sie verdient hat, dafür, dass sie so einen gewaltbereiten Hurensohn zur We«.
Ein kräftiger Schlag traf den Dorfobersten am Kiefer, dass sich sein Schädel beinah um 180 Grad drehte. »Noch ein schlechtes Wort über Iglias und ich zeig’ dir, was Fäuste anrichten können!«, schrie Elphid, Tränen flossen.
Schreibe einen Kommentar