Gesäte Angst – Kapitel 14

»Was ich weiß ist, dass der Kampf noch lange nicht vorbei ist. Egal wie sehr wir uns bereit angestrengt haben, Vasil kam noch nie ins Schwitzen. Ich will mir gar nicht vorstellen müssen, was für geheime Tricks er noch hat.
Wie kämpfst du gegen einen Feind, der sich Jahrhunderte vorbereitet hat?«

Gesäte Angst

Zeit: Gegenwart. Ort: Die ewige Festung, Odomfrag.

Die Flammen loderten noch viel intensiver in den tieferen Gemächern der Festung. Odomfrag war eine Welt geplagt von Vulkanen, Asche und Hitze, doch all dies erschien einem lachhaft, wenn man sich in die Tiefe der Welt buddelte. Die Kammern von Lord Tekna waren das perfekte Beispiel dafür, auch wenn Yirin sich sicher war, dass der Lord die Hitze hier unten absichtlich erhöhte.
So kann doch keiner Arbeiten!, dachte Yirin und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Gerüchte über seine Herkunft mussten wahr sein, da bin ich mir sicher.
Normalerweise ließ sich Yirin nicht auf die Gerüchteküche der Diener ein, doch jedes Mal, wenn er hier unten war, konnte er nicht anders als den Vermutungen über Lord Tekna zuzustimmen. Er muss das merkwürdige Ergebnis davon sein, wenn sich eine wahnsinnige Frau mit einem Drachen paart.
Niemand traute sich dies, auszusprechen, natürlich. Ja, die Diener tuschelten und redeten gerne über die merkwürdigsten Sachen, wenn sie alleine waren. Laut aber zu behaupten, dass der Lord der Forschung, Tekna, eine Missgeburt zwischen Drache und Sterblicher sei, würde niemand wagen. Dennoch hat er etwas klar Schuppiges an sich, dachte Yirin.
Der Lord wuselte durch einige Schubladen, warf dort und hier mal ein Buch um, und nahm keinerlei Notiz von Yirin. Dieser stand nur mit verbeugten Kopf in der Tür und ertrug die Hitze, bis der Lord ihn endlich bemerkte.
»Yirin!«, sagte der Lord, als er endlich mal seinen Blick nach oben richtete. »Sag doch was, wenn du auftauchst. Ich habe dir schon unzählige Male erklärt, dass du mit dem förmlichen Scheiß aufhören sollst bei mir!« Der Lord beobachtete Yirin nur ganz kurz, bevor er seine Brille wieder richtete und sich seiner Arbeit wieder zuwandte. Er trug seinen roten Mantel, doch nicht seine Handschuhe wie üblich. Dadurch konnte man die einzelnen roten Schuppen auf seiner Hand sehen, die ihm ebenfalls den Hals hochkrochen.
»Verzeihung, Lord Tekna«, sagte Yirin mit unterwürfiger Stimme. »Doch ich fürchte, der unendliche Herrscher würde es nicht wertschätzen, wenn ich sie nicht mit dem höchsten Respekt behandeln würde.«
Lord Tekna stöhnte auf. »Ja, ist schon in Ordnung. Wir hatten die Diskussion zu oft. Wenn Vasil das so will, dann ist das so.« Immer wieder erschreckte es Yirin, wenn Lord Tekna so locker und ohne Ehrfurcht über den unendlichen Herrscher redete. Doch mittlerweile hatte es Yirin eigentlich aufgegeben, den Lord zu verstehen. Sein Hintergrund war fragwürdig, seine Abstammung noch mehr, doch er hielt eine hohe Stelle in der Regierung des Unendlichen inne. Ein Zeichen für die Gnade und Offenheit unseres Herrschers. Als solches hatte Yirin den Lord verstanden.
»Ich soll eine Nachricht von unserem unendlichen Herrscher überbringen. Sie ist von großer Bedeutung«, sagte Yirin und trat in die Werkstatt des Lords. Es war eine von vielen, doch jede von ihnen schien gleich chaotisch zu sein. Viele Werkbänke, noch mehr Schreibtische und unzählige Bücher und Papiere, dessen Bedeutung Yirin gar nicht vermuten mochte. Lord Tekna war ein Genie, das konnte man nicht bestreiten. Dennoch war er die Definition von Unordentlichkeit, aber sein Verstand schien das Chaos verstehen zu können.
»Was will der alte Vasil denn? Hoffentlich ist es was Gutes«, sagte Lord Tekna beinah geistesabwesend, während er weitere Papiere begutachtete und sich seine grauen, langen Haare aus dem Gesicht wischte, vom ganzen hoch und runterblicken. Manchmal war sich Yirin unsicher, ob er tatsächlich las, was dort stand, oder es eher Instinkt war, mit dem Lord Tekna durch seine Werkstatt wühlte.
»Ich soll euch sagen, dass es Zeit wird, Kontakt mit dem Widerstand aufzunehmen«, berichtete Yirin. Er hatte kein Wissen darüber, was diese Worte bedeuten mögen. Wieso sollte unser unendlicher Herrscher Kontakt mit diesen Wilden herstellen?
Lord Tekna wiederum schien positiv überrascht zu sein von dieser Nachricht. Der Lord ließ den Stapel an Papieren aus seiner Hand fallen und staunte mit offenem Mund Yirin an. »Es ist also wirklich endlich Zeit? Oh, bei den verdammten Göttern in ihren hohen Sesseln«, fluchte der Lord. »Auf geht es, Yirin! Hilf mir beim Tragen!«

Zu sagen, dass die Reaktion des Lords ungewöhnlich waren, wäre gelogen. Die Informalität von Lord Tekna war sein Markenzeichen. Yirin aber ein Stapel Bücher in die Hand zu drücken und zu dem Thronsaal des unendlichen Herrschers zu rennen, war wirklich ein Neues. Wohl fühlte sich Yirin auch nicht dabei über den heißen Flur der Festung zu rennen und gleich unangekündigt erneut den Thronsaal zu betreten. Völlig erholt hatte er sich von seiner Panikattacke nämlich noch nicht.
Verbanne diese Zweifel, Yirin, ermahnte er sich erneut. Zweimal darfst du die Präsenz deiner Gottheit heute genießen. Ein Privileg wie kein anderes. Dazu auch noch mit Lord Tekna persönlich!
Yirin zitterte am ganzen Körper, als er im Thronsaal ankam. Dieses Mal wirkte aber alles noch surrealer als sonst. Als Lord Tekna das Tor aufgestoßen und Yirin alle Bücher schnell zu Boden gelegt hatte, nachdem er sich aus Ehrfurcht und Liebe zu seinem unendlichen Herrscher verbeugt hatte, wollte dieser ihn auch sofort wieder entlassen. Doch Lord Tekna widersprach.
»Nein, nein, Vasil. Einen Assistenten kann ich schon lange gebrauchen. Yirin macht das ganz gut, also lass den guten Mann doch hier«, sagte Lord Tekna. Yirin war nicht überzeugt von der Idee im Thronsaal zu bleiben, geschweige denn als Assistent dem Lord zu dienen, doch für jeden dieser Gedanken peitschte sich Yirin innerlich selbst.
Der unendliche Herrscher akzeptierte die Anwesenheit von Yirin dennoch. Yirin verteilte diverseste Dokumente und Bücher auf einem Steintisch an der Seite des Thronsaales aus, während der Unendliche und der Lord einfach ihren Plänen nachgingen. Sie machten keinerlei Notiz von Yirin, bis auf die gelegentliche Anweisung von Lord Tekna.
»Wirklich Vasil, ich bin mehr als Glücklich, dass wir das endlich machen. Viel zu lange habe ich darauf gewartet, vor allem seit dem letzten Aufstand der Rebellion!«, sagte der Lord, und die Freude in seiner Stimme war ihm zu glauben. Hektisch bereitete er irgendwas vor, was Yirin fremd war. Einige Zeichen malte er auf den Boden, die der Diener nicht identifizieren konnte.
»Ich hoffe wirklich all die Jahre deiner Forschung haben sich gelohnt, Tekna«, sprach der Unendliche Herrscher. Er klang bei weitem nicht so bedrohlich wie sonst. Es lag nicht einmal mehr eine Drohung in seinen Worten. Viel mehr unterhielten sich die Beiden wie Freunde oder Bekannte.
»Ich versichere es dir, sie werden keine Ahnung haben, was ihnen geschehen wird!«
»Das ganze hier sieht bisher eher wie ein Chaos aus, Tekna. Du bist sicher, dass das so sein muss?«
»Mehr als sicher! Technologie basiert letztendlich auf dem Chaos der Magie. Ich versuche lediglich einen Sinn in all eurem Unsinn zu finden.«
Chaos und Unsinn, das war etwas, was Yirin so unterschreiben konnte. All diese Symbole auf dem Boden, sie ergaben keinen Sinn. Wie konnte irgendwer in all den Welten irgendwas hiervon verstehen? Man muss wahrlich ein einzigartigen Verstand haben, oder völlig wahnsinnig sein. Was der Lord davon ist, kann ich aber nicht sagen, dachte Yirin, doch peitschte sich innerlich selbstverständlich wieder dafür aus.
»Wirklich beeindruckend, was sich der Erschaffer bei all dem Gedacht haben muss. Wer auch immer er gewesen war, oder ist, er muss ein wirkliches Genie sein«, bestaunte Tekna während er durch eine Bücher durchblätterte.
»Du weißt, dass ich dir was das angeht, widerspreche, Tekna. Diese Dinger, diese Naturgewalten, die Welten und Magie erschaffen haben, sind nur wahnsinnige Kinder. Nur einmal hat einer von ihnen sich mir offenbart, und das war noch in einer Zeit als ich mich mit einem Rat und minderwertigen Göttern und einer viel zu besorgten Mutter herumgeschlagen habe. In all der Zeit bin ich nicht ein Schritt näher gekommen«, erzählte der unendliche Herrscher, doch auch wenn Wertungen und verachtende Worte seine Sätze bestückten, klang er so sanft und locker. Als ob er einen Schwung aus einem alten Leben erzählen würde. Doch noch viel erschreckender für Yirin waren die Dinge, über die sie sprachen. Die Erschaffer der Welten und Magie? Und der unendliche Herrscher, bevor er zur Konstanz der Welten wurde? Wäre es nicht sein Gott selbst gewesen, so hätte Yirin Blasphemie ausgerufen!
»Hast du eigentlich diese Reisenden nochmal wieder getroffen in den letzten 15 Jahren?«, fragte Tekna und schaute nochmal prüfend über den Aufbau.
»Zum Glück nicht«, sagte der König und atmete erleichtert aus. »Nervige Gestalten die behaupten mehr wert zu sein als ich es bin. Gegen Peod hege ich schon seit der Entdeckung der Zwischenwelt einen Hass, doch Istoria übertrifft ihn um Welten, wenn es um das Irritieren geht. Dieser fälschlicherweise von sich selbst überzeugte Geschichtenerzähler. So ein Narr wäre an all den Höfen jeder Welt schon längst hingerichtet worden.«
»Schade eigentlich. Ich hätte gerne mal mit einem von ihnen gesprochen.«
»Ich lasse das nächste Mal nach dir schicken, sollten sie es wagen mich nochmal zu stören. Vielleicht leite ich sie direkt an dich ab. Jetzt erklär mir doch aber lieber mal dieses Chaos!«
»Selbstverständlich!«
Yirin machte einen Schritt zur Seite, in die letzte Ecke des Raumes und verkroch sich dort. Sein Kopf konnte all diese Informationen nicht verarbeiten, denn jedes Wort was die Beiden wechselten, wirkte verboten für ihn.
»Wichtig ist diese Glocke«, sagte Lord Tekna und zeigte auf eine alt aussehende metallische Glocke, die nicht wirklich besonders wirkte. »Wenn sie erklingt, dann bedeutet das, dass dein gewünschtes Ziel die Zwischenwelt betreten hat. Grundsätzlich kannst du jeden erreichen, aber aus bisherigen Tests lässt sich erschließen, dass emotional instabile Sterbliche anfälliger sind. Das hat sicherlich mit dem Ursprung des Buches, dem Kern des ganzen Apparates, zu tun.«
»Was haben wir bis jetzt über das Buch herausgefunden?«, fragte der König und blätterte in den leeren Seiten herum.
»Es scheint älter als alles uns bekannte zu sein, also ein Artefakt aus der Zeit vor den Göttern und Sterblichen. Vermutlich ein Werkzeug der Naturgewalt Angst, weshalb auch ängstlichere oder emotionalere Leute besser funktionieren. Vielleicht hatte Angst dieses Buch einst selbst benutzt, um Kontakt aufzunehmen, doch genau können wir es nicht wissen«, erklärte Tekna aufgeregt und rückte dem König beinah auf die Pelle, als er in das Buch blicken wollte. »Ihr müsst lediglich den Namen eures Ziels in diese Seiten hineinschreiben und schon geht die ganze Maschine in den Bereitschaftsmodus und wartet, bis das Ziel die eigene Zwischenwelt betritt.«
Die Naturgewalt Angst?, dachte Yirin besorgt. Gab es Mächte, die über dem unendlichen König standen? Dinge, die nicht einmal er verstand? Wenn das so war, war er dann überhaupt wirklich ein Gott?
Verbanne diese Gedanken, Yirin! Sofort! Er klatschte sich selbst ins Gesicht, um sich mit der Gewalt zu bestrafen. Leider aber zog er damit die Blicke von Lord Tekna und dem König auf sich.
»Gibt es irgendein Problem, Yirin?«, ermahnte die Stimme des Königs in. Sofort begann Yirin an zu zittern.
Idiot! Idiot! Idiot!, fluchte Yirin und wusste nicht, was er antworten sollte.
»Sei nicht so ernst, Vasil. Der arme Junge ist wahrscheinlich einfach überfordert mit der ganzen Lage. Du erziehst deine Diener immer so, dass ich sie kaum gebrauchen kann als Assistenten. Sie haben viel zu viel Angst«, verteidigte Lord Tekna den winselnden Yirin, was tatsächlich ein wenig half.
»Rede nicht so ein Unsinn. Yirin ist eine der treusten Diener, den ich je hatte. Er hat keinen Grund sich zu fürchten, nicht wahr?«
»Selbstverständlich nicht, unendlicher Herr«, stotterte Yirin. Was hätte er auch sonst sagen sollen? Dass er an der Göttlichkeit des Herrschers zweifelte? Die vielen Fragen, die er gerade hatte? Sicherlich würde es ihm mindestens seinen Kopf kosten, sollte er auch nur ein anderes Wort sagen. Ich habe nichts zu fürchten…
»Wir sollten uns auf die Maschine konzentrieren, Vasil. Deinen Diener kannst du gerne nachher noch quälen«, sagte Lord Tekna und versuchte damit wohl das Gespräch abzulenken. Zum Glück. Diesen direkten Fokus des Herrschers hielt Yirin nämlich nicht lange aus.
Der König schaute Yirin noch etwas länger an, bevor er sich von ihm abwendete und wieder zu dem dunklen Buch schaute. Yirin atmete erleichtert aus.
»Ich nehme an, ihr habt vor den Anführer kontaktieren zu wollen?«, fragte Lord Tekna und reichte dem König bereits einen Stift, den er in seiner mit Schuppen übersäte Hand hielt.
»Eine richtige Vermutung, wie immer, Tekna, doch leider nicht die ganze Wahrheit. Ich bin kein Sympathisant von Risiken, weshalb ich selbstverständlich den Widerstand ins Chaos ziehen muss. Jetzt wo sie den Jungen haben, werden sie sich sicherer denn je fühlen. Das Spiel hat angefangen und sie haben ihrer ersten Zug gemacht. Jahre an Vorbereitung, doch jetzt wird es schnell gehen. Vermutlich wollen sie das Tempo nutzen, werden an den verschiedensten Orten zuschlagen. Serce ist gerissen, dass muss ihm lassen, aber er ist schwach. Also wird es Zeit ihren instabilen Anführer auszunutzen. Dennoch sollten wir auch den Namen der Seelenschauerin hineinschreiben, nur zur Sicherheit. Ich habe zwar meine Weg sie auch so zu erreichen, aber sicher ist sicher«, erklärte der Herrscher und schrieb die beiden Namen in das Buch.
Die Seelenschauerin?, dachte Yirin. Sie war das Mädchen, was vor einigen Monaten entkommen war. Konnte selbst das geplant sein? Der unendliche Herrscher war wahrlich ein Genie.
»Ausgezeichnet!«, sagte Lord Tekna und klatschte fröhlich in die Hände. »Wir beide werden unverzüglich kontaktiert, sobald eine der beiden ihre persönliche Zwischenwelt betreten!«
»Ich bedanke mich wie immer herzlichst bei dir, Tekna. Eine Bitte hätte ich aber noch an dich.«
»Sag nur, worum es sich handelt, Vasil. Du weißt, ich liebe die Arbeit!«
»Nimm doch bitte Yirin als deinen Assistenten. Ich glaube, seine Fähigkeiten werden bei mir als Diener verschwendet und du hast dich doch gerade noch aufgeregt, dass du nie einen bekommst. Yirin sollte die perfekte Wahl sein.«
Lord Tekna schaute verblüfft zu Yirin hinüber, doch wirkte sehr zufrieden. »Es wäre mir eine Freude. Yirin hat sich immer als sehr ergiebig erwiesen. Er wird mir sicherlich eine großartige Hilfe sein, Vasil.«
Unentschlossenheit ergriff Yirin. War dies eine Beförderung, oder eher eine Bestrafung? Jede Aufgabe deines Herrschers ist eine Beförderung!, ermahnte sich Yirin sofort. Natürlich…
Der Assistent von Lord Tekna… Yirin schämte sich zwar dafür, doch ein großer Teil in ihm war sehr glücklich über diesen Fakt. In den tiefen Gemächern und Werkstätten des Lords, war er weit weg von dem bedrückenden Blick seines Gottes. Dies war ein verführerischer Gedanke, für den er sich sicherlich bei der nächsten freien Gelegenheit selbst bestrafen müsste…

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