Akt II – Ein Traum von Grün
»Was würde passieren, wenn der Widerstand eines Tages Erfolg hat? Vasil ist gestürzt, die Dimensionen befreit. Was würde dann kommen? Ein neuer Herrscher? Würden die Welten auseinanderbrechen, oder weiter zusammenhalten?
Sollten die Prophezeiungen wahr sein, dann würde ›die Hoffnung‹ gerecht und fair herrschen. Ich glaube aber nicht, dass er diesen Thron, die Krone, jemals annehmen würde.«
Ewiger Diener
Zeit: Ein paar Tage nach der Rettung Elpihds. Ort: Die ewige Festung, Odomfrag.
Die schwarzen Steine, die den gesamten Boden der Festung bedeckten, brannten unter den Füßen von Yirin. Schon seit langer Zeit war er den Schmerzen gegenüber taub geworden. Tagein, tagaus lief er auf dem heißen Boden von Odomfrag, der Welt des unendlichen Königs, und so waren seine nackten Füße längst abgehärtet. Die Steine, aus denen die riesige Festung bestand, stammten aus den Tiefen der dunklen Berge. Sie waren von Natur aus extrem heiß und wurden für gewöhnlich abgekühlt während der Verarbeitung, für den Bau. Nicht aber die Steine der Festung. Der große Herrscher Vasil wollte die Hitze der Steine für den Boden behalten. Dies demonstrierte seine Macht und Stärke, sowie die seiner Diener. Für den Fall, dass gewöhnliche Sterbliche, oder andere Götter, Odomfrag besuchten, so wurde ihnen direkt der Unterschied zwischen ihnen und Vasil vorgezeigt. Der König trotzte der Hitze mit Leichtigkeit. Seine Gäste wiederum bevorzugten besonderes Schuhwerk, um die Gänge der Festung zu passieren.
Yirin eilte auch heute wieder durch die Gänge. Die Ehrfurcht, die an diesem Tag spürte, war enorm. Vielleicht aber wollte er auch nur nicht zugeben, dass er einfach Angst um sein Leben hatte. Der Auftrag, den er heute ausführen sollte, war nämlich kein leichter.
Yirin musste dem unendlichen Herrscher eine schlechte Nachricht überbringen.
Dies sollte nicht das erste Mal sein, dass Yirin das tun musste. Unter den Dienern gehörte er zu denjenigen, die schon länger in Odomfrag dienten. Viele schafften es nie hierhin, sondern waren stattdessen Diener und Gesandte in anderen Welten. Yirin aber hatte sich hochgearbeitet. Bis zu den Toren des Königs persönlich. So musste er bereits schlechte Nachrichten über die Jahre überbringen, aber diese mag möglicherweise die Schlimmste seit seiner Zeit hier sein.
Yirin ging schnellen Schrittes, doch versuchte weiterhin jeden Diener und jede Wache zu grüßen, die er begegnete. War dies der letzte Tag, an dem ich sie grüßen mag?, dachte er. Nein, diese Gedanken musste er verbannen. Wieso sollte er Angst vor seinem Herrscher, oder vor dem Tod haben? Der große König war Gott. Wenn er entschied, dass Yirins letzte Stunde geschlagen hat, dann sollte es so sein. Wenn sein Herrscher persönlich über seinen Tod entschied, wäre es ein seltenes Privileg. Daher konnte Yirin nie die Diener verstehen, die aus Odomfrag geflüchtet waren.
Oder kann ich sie doch verstehen? Nein. Verbanne diese Gedanken, Yirin!, ermahnte er sich erneut. Es war ein schrecklicher Kampf in seinem Kopf, für den er sich zutiefst schämte. Ein Diener sollte nicht an seinem Gott zweifeln! Yirin durfte nicht so enden wie die Diener, die den Herrscher aufgegeben hatten. Zumal diese geflüchteten Diener es nie lebendig aus dieser Welt schafften. Geschah es nicht unter dem Segen des unendlichen Herrschers, oder seinen erkorenen Dimensionswachen, verließ niemand Odomfrag. Zudem betrat auch niemand Odomfrag, außer unter denselben Bedingungen.
Außer natürlich der eine Zwischenfall von vor einigen Monaten, erinnerte sich Yirin. An diesem Tag hatte Yirin auch solche Gedanken, doch der König wirkte nicht sehr erschüttert von der Flucht der Seelenseherin und dem Einbrechen des dunklen Magiers. Heute wiederum…
Die Gemälde an den Wänden beachtete er schon gar nicht mehr, denn er hatte sie unzählige Male gesehen. Sie alle zeigten die großartige Geschichte des unendlichen Königs. Der Kampf des unendlichen Herrschers als die große Finsternis kam, die drohte den Göttern ein Ende zu setzen. Sein Aufstieg in den Marmorhallen der alten Welt, als sich die Götter dazu erklärten Vasil, als ihr Oberhaupt zu ernennen, nachdem er sie alle gerettet hatte. Gemälde vom Bau der ewigen Festung, der Entdeckung von Kentrikere, dem Zentrum der Welten, sowie der Zähmung der Drachen. Das jüngste Gemälde zeigt die glorreiche Armee der vereinten Dimensionen, als sie den Widerstand vor einigen Jahren das letzte Mal besiegt hatten. Ein ewiges Leben ohne Fehler, mit einem Königreich, das sich über Welten erstreckte. Welch ein Einfluss also, sollte der heutige Vorfall schon haben…
Je näher er dem Thronsaal des Königs kam und nachdem er das jüngste Gemälde noch einmal gesehen hatte, desto klarer wurde die Erinnerung an seinen ersten Tag in der unendlichen Festung. Der Grund, warum er solche Ehrfurcht spürte. Yirin war damals der Ersatz für den letzten Diener. Dieser wurde mir dem Tod bestraft, vom König höchstpersönlich. Dieses Geschenk hatte der Diener von seinem Herrscher erhalten, nachdem er die Nachricht von der großen Rebellion überbracht hatte. Der Aufstand, angezettelt von den Flüchtigen von Magika, Dask, der dunkle Magier, zusammen mit seinem Bruder, der Blutteufel Serce. Es war die brutalste Schlacht, welche die Vereinten Dimensionen in Jahrhunderten führen musste. Seit diesem Tag, und dessen Ereignissen, berichteten die Diener in Odomfrag, die schon länger hier waren als Yirin, dass sich der unendliche Herrscher verändert hätte. Beinah war dieser Gedanke alleine Hochverrat, denn der Unendliche war eine ewige Konstanz in den Welten. Veränderung war auszuschließen.
Wie der König aber auf die Nachricht von Yirin nun reagieren würde, das wusste nur der König selbst.
Yirin betrat die Hallen des unendlichen Herrschers. Sein imposanter Thron überragte Yirin, als er sich ohne zu zögern, zu Boden schmiss und vor dem König kniete.
»Oh, allmächtiger und unendlicher Herrscher!«, flehte Yirin. »Auch an diesem Tag bin ich überwältigt, dass ich das Privileg genieße, euch eine Botschaft zu übermitteln!«
Die schwarze Silhouette machte eine leichte Handbewegung, die Yirin vermittelte, dass er sich leicht erheben durfte.
»Weißt du, Yirin, deshalb bist du einer meiner liebsten Diener«, sprach die Silhouette mit einer mächtigen und gebieterischen Stimme. Das war die Stimme des Herrschers, ohne Zweifel. »Nach all den Jahren dienst du mit derselben Ehrfurcht, wie an deinem ersten Tag. Nach 17 Jahren hat sich an dir nichts verändert, und das gefällt mir.«
»Ihr schmeichelt mir zu sehr, eure Unendlichkeit!«, rief Yirin. Seine Stimme zitterte, jede Silbe drohte vor Angst zu zerbrechen. »Ich verdiene dies nicht. Vor allem nicht, wegen der Botschaft, die ich euch überbringe.«
Die Silhouette veränderte sich nicht, doch beinah fiel Yirin ohnmächtig zu Boden, als er diese Worte äußerte. Die Flammen im Thronsaal tanzten, als ob eine starke Windböe durch den Saal fegte. Alles, was aber passierte, war, dass sich die Laune des unendlichen Herrschers änderte.
»Du vermagst es mir schlechte Nachrichten zu überbringen, Diener?«, ermahnte die Stimme des Herrschers. Yirin begann zu schwitzen.
»Es gab einen Vorfall bei der Einführungsprüfung des neuen Diasteri Magis«, berichtete Yirin schnell. Glaubte er, dass er dies hier mit Schnelligkeit schmerzlos überstehen würde? Naiv, bestrafte sich Yirin selbst, während die Anspannung, von der sich Yirin beinah übergeben musste, stärker wurde.
»Berichte«, sprach der unendliche Herrscher.
»Es war der dunkle Magier und«, Yirin zögerte. Und die Seelenseherin, waren die Worte, die Yirin im Hals stecken blieben. Er erinnerte sich, wie wütend der unendliche Herrscher war, als Yirin über ihre Flucht berichtet hatte. Dass sie nun dafür mitverantwortlich war für die Flucht des Diasteri Magis? Er ist dein Herrscher und dein Gott! Verschweige ihm keine Nachrichten!
»Der dunkle Magier, zusammen mit der Seelenseherin. Sie haben sich Eintritt nach Meksa verschaffen und die Einführungsprüfung unterbrochen. Der Dunkle, er stellte sich dem Ausbilder Dolos und tötete einige der Wachen, während die Seelenseherin mit dem jungen Vollkommenen, mit der Hilfe ihrer Teleportationsmagie, geflüchtet ist«, berichtete Yirin letztendlich. Jedes der Wörter war eine Hürde. Jedes ein Stein, den er mit voller Anstrengung hoch würgen musste.
Zu der Überraschung von Yirin wiederum, musste er feststellen, dass es ihm leichter fiel zu atmen. Die Aura des Herrschers, sie wurde leichter. Die Luft nicht mehr so fest und erstickend.
»Vielen Dank, Yirin«, sagte der Unendliche. Keine Spur von Wut befand sich in seiner Stimme. Dies ist nicht mein letzter Tag, dachte Yirin erleichtert, doch schämte sich sofort für diesen Gedanken. Wie konnte er Zweifel an seinem Gott haben?
»Ein weiterer Grund, weshalb du einer meiner liebsten Diener bist. Du dienst mir aus Liebe, nicht aus Angst«, fuhr der Herrscher fort und die Flammen seines Throns beruhigten sich erneut. So saß er dort, majestätisch und sicher. Die Krone, sie schwebte über seinem Kopf.
»Jeder der Diener herrscht ihnen aus größter Liebe, mein Herrscher. Ihr Lob, es ist größer als ich es je tragen könnte«, wimmerte Yirin ein wenig vor sich hin. Sein Gott wiederum wischte seine Bemerkung nur mit einer Handbewegung beiseite.
»Du musst sofort eine Nachricht an Lord Tekna überbringen«, sagte der Herrscher und Yirin nickte eifrig. »Sag ihm, dass es Zeit wird, den Kontakt mit dem Widerstand aufzunehmen.«
Keine weitere Erklärung folgte von seinem Gott, außer einer Handbewegung die ihm erlaubte zu gehen. Schnell wiselte Yirin aus dem Thronsaal und das massive Tor wurde hinter ihm geschlossen. Er ging noch einige Meter weiter, bis er sich endlich eine einsame Ecke suchte und zusammenfiel. Vor der Wand kauerte Yirin und atmete panisch. Du lebst!, dachte Yirin. Dein letzter Tag, er ist noch nicht gekommen!
Viele Minuten verlief seine Panikattacke. Einsam, auf dem heißen Boden in Odomfrag. Yirin schämte sich für jede Sekunde, doch er konnte sich nicht helfen. Das einzige, was in seinem Kopf schwirrte, waren die Worte seines unendlichen Herrschers. Du dienst aus Liebe, nicht aus Furcht.
Was, wenn es nicht so wäre, mein Herrscher?, dachte Yirin. Diene ich aus Liebe, oder aus Furcht? Oh, unendlicher König! Was, wenn die Liebe zu dir, sowie meine Furcht, genau dasselbe sind?
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