Die Ahnenwelt – Kapitel 20

»Die Geschichten, die überall in den Welten verteilt sind, tragen viele Lektionen mit sich. Sicherlich wird Elphid viel lernen wollen. Ich mache mir keine Sorgen darum, dass er die falschen Dinge aufnimmt. Elphid wird lernen von der Geschichte.«

Die Ahnenwelt

Zeit: Einige Wochen nach den letzten Ereignissen in Emeraldus. Ort: Vergessene Felder, Ahnenwelt.

Elphid kam sich dämlich vor, als er aus dem Portal stieg und er direkt von Regen begrüßt wurde. Kalte Luft flog ihm ins Gesicht, während seine Schuhe in nassen, dunkelgrünen Rasen versunken. »Wirklich? Noch mehr regen?«
»Du lässt dich durchaus zu viel vom Wetter beeinflussen. Dies hier ist keine der Welten, die grau und leblos geworden sind, weil sie von den Kräften Vasils beeinflusst wird. Die Ahnenwelt ist eine der wichtigsten Welten für den Widerstand, doch die Geschichte der Welt der Geschichten, ist doch eine der tragischen«, erklärte Dask, als er seine Kapuze aufsetzte.
Elphid zog einen seiner Schuhe aus einem tiefen Loch voller Matsch und fluchte leise. Danach blickte er endlich auf und sah die flache Sumpflandschaft vor seinen Augen ausbreiten. Sie schien bis ins Unendliche zu gehen und war gekennzeichnet von…
»Was sind das denn für riesige Statuen?«, rief Elphid aufgeregt und machte große Augen. Vielleicht war die Natur hier schlicht, flach und einfältig, doch das, was sich auf ihnen befand, war atemberaubend. Einige Meter von ihm entfernt kniete eine alte Steinstatue, die bereits von Moos und Dreck bedeckt war. Sie zeigte eine Kriegerin in voller Rüstung und einem riesigen Schwert, was sie in den Boden gerammt hatte.
Sofort legte Elphid wieder seine Finger vor sein Auge und fing an zu messen. Dask seufzte bereits, als er das sah.
»Das Ding muss ja locker 20 Meter groß sein!«, sagte Elphid und staunte.
Auch Dask staunte, denn das war tatsächlich die ungefähre Größe der Statue. »Deine dämliche Messmethode funktioniert also wirklich?«
»Natürlich funktioniert sie, was hast du denn gedacht?«, fragte Elphid leicht beleidigt. »Aber wer hat denn diese Statuen hier hingebaut?«
»Niemand. Sie sind Leichen alter selbsternannten Götter dieser Welt, oder zumindest ihre ehemaligen Bewohner. Seit vielen Jahrhunderten stehen sie hier und bedecken das Land. Sie hier ist eine der kleineren.«
»So wie Vasil und die Smaragkönigin?«, fragte Elphid.
»Ja, aber nicht so ganz. Damals als Vasil angefangen hatte, die Welten zu erobern, gab es auch Völker, die sich weigerten. Im Fall der Ahnenwelt waren ihre Bewohner riesig, mehrere dutzende von Metern hoch. Angeblich soll es eine einfache Schlacht für die Armeen von Vasil gewesen sein, denn sie hatten ja Zugriff zu der Magie, doch andere Quellen zweifeln daran. Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, die riesigen Krieger, die diese Welt gehabt hatte, selbst zu besiegen, würden sie immer noch existieren.«
Elphid lief zu der alten Statue hinüber und blieb danach staunend vor ihr stehen. Sie kniete gebückt, hielt ihr mächtiges Schwert in der Hand und zeigte mit ihrer anderen Hand auf den Boden direkt an den Ort an dem Elphid nun stand. »Wisst ihr, was genau mit ihr geschehen ist?«, fragte er.
»So sicher können wir uns da nicht sein. Sie scheint nicht im Kampf gefallen zu sein, zumindest nicht aktiv. Wahrscheinlich hatte sie einen letzten tragischen Versuch unternommen, um mit dem Feind zu reden, sonst würde sie vielleicht nicht so auf jemanden unserer Größe hinabblicken. Vasil und die Wachen hatten wohl kein Mitleid mit ihr…«. Dask holte ein Kurzschwert aus seiner Tasche heraus und legte es auf einen Stapel von Waffen, die vor der Statue lagen. »Jedes Mal, wenn einer von uns hier ankommt, legen wir ihr eine Waffe aus einer anderen Welt zu Füßen. Eine Opfergabe, oder auch eine Wertschätzung, wenn du so magst, um unseren Respekt zu zeigen. Sie alle gehörten zu den Ersten, die sich Vasil entgegengestellt haben. Ihr Kampf ist vielleicht vorbei, doch unserer geht noch weiter, auch für die verstorbene Ahnenwelt.«
Elphid zog seinen versteckten Dolch hervor, den er in Emeraldus gekauft hatte. Graue Regentropfen färbten sich in ein leichtes Grün auf der Klinge. Vorsichtig ging er zu dem Haufen der Waffen, kniete ehrfürchtig vor der Statue nieder und legte seinen Dolch dazu. »Hat sie einen Namen?«
»Wir nennen sie ›Die erste Kriegerin‹«, sagte Dask leise und nickte Elphid anerkennen zu.
Vielleicht verstand Elphid noch nicht die Ausmaße des Krieges oder die unzähligen Jahre an Geschichte, die schon auf den Welten lastete. Mit jedem verstrichenen Tag aber schien er mehr zu realisieren, was für Opfer bereits gefallen waren.
Sie wanderten noch einige Zeit durch die Ebene und kamen an weiteren Statuen vorbei. An jeder von ihnen hielt Dask an und legte eine kleine Metallplatte als Opfergabe hin. Jede dieser Platten waren Teil einer Rüstung. Dask meinte, er würde das tun, um ihnen Schutz und Verteidigung vor all dem zu schenken, was nach dem Tod kam.
Die gefallenen Krieger waren allesamt höchst beeindruckend, doch jeder von ihnen brachte auch ein anderes bedrückendes Gefühl mit sich. In der Art, wie sie letztendlich gestorben waren, lag jedes Mal eine andere Geschichte.
Eine der Krieger war um die 30 Meter hoch, besonders breit gebaut und trug eine schwere Plattenrüstung, inklusive Helm, welcher zwei Hörner besaß, aber es gab kein Anzeichen von einer Waffe. Die versteinerte Leiche saß dort, lehnte sich mit beiden Armen verzweifelt über seine Beine und blickte zu Boden. Vermutlich hatte er den Kampf einfach aufgegeben und sein Schicksal akzeptiert, weshalb seine Waffe nicht mehr hier war. Es muss ein schreckliches Gefühl sein, wenn man so lange kämpft, nur um zu merken, dass es vergeblich war, hatte Elphid gedacht, als sie sich die Statue genau angeschaut hatten.
Ganz anders schien das Schicksal gewesen zu sein, von einer anderen Kriegerin. Dieser Stand aufrecht in einer Rüstung, die, auch wenn sie vollkommen verwelkt war mittlerweile, trotzdem strahlend wirkte. Stolz hielt sie ihren Speer in der Hand und richtete ihn in Richtung Himmel, während sie selbst übersät war mit Dellen, Löchern und Waffen, die im Gegensatz zu ihr, winzig wirkten. Sie schien aktiv im Kampf gefallen zu sein, doch hatte bis zum letzten Moment nicht aufgegeben.
An einem der letzten Orte gab es eine Art Denkmal, an dem viele der riesigen Waffen der gefallenen Krieger standen. Einige waren in den Boden gerammt, während andere aufeinander lagen oder gegeneinander gelehnt waren. Sicherlich versammelten sich hier über zwei Dutzend Waffen eines verstorbenen Volkes und neben jeder legte Dask eine kleine Metallplatte.
Der Marsch durch die Ahnenwelt war durchaus deprimierend, doch bereits jetzt verstand Elphid, was Dask damit gemeint hatte, als er sagte, dass er etwas über die Geschichte der Welten lernen würde. So viele Kämpfe wurden bereits ausgetragen und jedes schien Vasil gewonnen zu haben. Sie, der Widerstand, waren aber noch hier. Da durften sie doch nicht aufgeben, oder? Mindestens das, waren sie den gefallenen Kriegern schuldig.
»Ich glaube dort kommt endlich unsere Mitfahrtgelegenheit«, sagte Dask und brach endlich die Stille, die seit einer gefühlten Ewigkeit hielt. Weder er, noch Elphid hatten wirklich etwas gesagt während der Reise.
Elphid schaute sich um und erblickte in der Ferne einen Berg. »Ich dachte, hier gibt es nur Flachland?«
»Einige der wenigen Berge, die es hier gibt, haben die Angewohnheit wegzulaufen«, antwortete Dask.
Bei den vergessenen Göttern, dachte Elphid als er realisierte, dass der Berg tatsächlich Beine besaß. Auf sechs riesigen Gliedmaßen bewegte sich das Untier auf Dask und ihn langsam zu.
Das Wesen glich einer Art Kröte, die anstatt eines Panzers einen ganzen Berg, der bei genauerem Hinsehen wie eine natürlich geformte Stadt wirkte, auf dem Rücken trug.

»Welches sind die besten Bücher?«, fragte der junge Bibliothekar begeistert, als er wieder den Raum betrat. Er machte sogar eine Pause nach der Frage, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass entweder Dask oder Elphid die Frage beantworteten, doch merkte dann schnell, dass er nichts außer verwirrte Blicke bekam. »Die Bücher, die man noch nicht gelesen hat!«
Mittlerweile befanden sich Elphid und Dask in dem laufenden Berg, der sich tatsächlich als ziemlich große Bibliothek, mit ziemlich wenigen Bewohnern herausstellte. Alle der hier lebenden Sterblichen waren Bibliothekare und Geschichtsforscher und eben einer von ihnen war der Junge, der nun einen ziemlich großen Haufen an Büchern auf dem massiven Holztisch abstellte. Er hieß Vio und lebte schon sein Leben lang hier in der Ahnenwelt, beziehungsweise in der ›Wandelnden Weisheit‹, wie sie den Berg scheinbar nannten. Vio war eine sehr unauffällige und schmächtige Gestalt. Seine graue Robe wirkte viel zu groß, die Brille hing meistens schief und seine Haare waren noch viel chaotischer als es die von Elphid jemals waren.
Trotzdem fand Elphid Vio von Anfang an sympathisch. Er redete mit so einer Leidenschaft für die Bücher und die Geschichte, dass es beinah ansteckend war. Vielleicht stolperte er unbeholfen durch seine Sätze, aber er schien mit Herzen bei der Sache zu sein.
»Dies sind alle Bücher, die ich auf die Schnelle zum Thema der Magie und den Vollkommenen gefunden habe. Ihr hattet tatsächlich recht, dunkler Magier, dass Meister Xerxerei noch einige dieser Bücher persönlich aufgehoben hatte. Woher wusstet ihr das?«, fragte Vio und legte ein paar der Bücher bereits auf dem Tisch aus.
»Vor vielen Jahren war ich schon einmal hier wegen des Themas und ich hatte dem alten Xerxerei gesagt, er sollte sie aufbewahren, falls ich sie erneut brauchen würde«, erklärte Dask und schnappte sich das erste Buch.
Jedes der Bücher sah vollkommen unauffällig aus und besaß kaum Titel oder Aufschriften. Nur kleine Zeichen, die als Markierungen galten, befanden sich auf den Büchern. Erkannte Vio wirklich, um was für Bücher es sich handelte, alleine daran?
»Leider ist das Wissen in diesen Büchern immer nur sehr begrenzt. Es gibt wenige, die die wirkliche Macht der Vollkommenen erleben und dann noch weniger, die sich dazu entscheiden ein Buch darüber zu schreiben. Wahrscheinlich reicht es aber um dir ein grobes Verständnis zu geben über dein Potential, damit du etwas tun kannst zwischen den Trainingseinheiten«, sagte Dask und blätterte in dem ersten Buch herum.
»Seit ihr wirklich ein waschechter Vollkommener, junger Vollkommener?«, fragte Vio, übermäßig höflich.
»Ich hab dir doch gesagt, dass du mich nur Elphid nennen sollst«, erwähnte Elphid erneut. »Aber ja, wenn Dask recht damit hat, dann bin ich wohl genau das. Was das alles bedeutet-«
»Oh, wie spannend!«, rief Vio freudig hinaus. »Sobald ihr Zeit dafür habt, müsst ihr mir erlauben, eure Fähigkeiten zu beobachten und zu dokumentieren, Herr Elphid. Wie der Herr dunkle Magier bereits gesagt hat, gibt es kaum von uns, die jemals in Kontakt mit Wesen wie euch kommen und es würde mir alles bedeuten, wenn ich endlich wirkliche Forschung dazu betreiben dürfte!«
Elphid seufzte und schien es aufgegeben zu haben, dass Vio zeitnah aufhörte ihn mit ›Herr‹ anzureden.
»Das sollte kein Problem sein. Wenn es dem Widerstand hilft, machen wir es«, sagte Dask und schob einen Stapel an Büchern zu Elphid hinüber, mit einem Blick, der sagte: »Dein Problem, viel Spaß.«
»Also soll ich hier wirklich jetzt versauern und Buch über Buch lesen? Was soll das denn jetzt?«, nölte Elphid lautstark.
»Es heißt: ›Sich wichtiges Wissen aneignen‹. Etwas, was du verdammt gut gebrauchen kannst, weil du da oben in deiner Birne nichts von den Dimensionen weißt«, sagte er und klopfte auf Elphids Kopf. »Währenddessen nehme ich mir diese Bücher hier und fange mit meiner Aufgabe an das, alte Buch zu übersetzen.« Dask schlug demonstrativ auf seinen Stapel an Büchern. »Alles, um deine Schwester zu finden, nicht wahr?«
Elphid seufzte zustimmend und sackte auf dem Stuhl zusammen.
»Alles, um meine Schwester zu finden…«, flüsterte er in sich hinein und fing das erste Buch an.

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert