»Blut ist dicker als Wasser, aber was passiert, wenn das Blut von außerhalb vergiftet wurde…«
Brüder von Magika I
Zeit: Während Elphid, Fidi und Chaos sich in Drakos aufhalten. Ort: Besprechungszimmer von Serce, Epanas.
»Serce, das ist verrückt!«, rief Dask, seine Stimme hallte durch das Besprechungszimmer. »Unser Aufbau läuft doch so gut in letzter Zeit. Endlich füllen sich wieder die Straßen in Epanas und wir machen stetig Fortschritte in allen denkbaren Bereichen! Warum um alles in den Welten willst du das überstürzten?«
»Jeder Tag, jede Stunde, sogar jede Minute, in der uns wieder erholen und sichtlich zu einer Bedrohung werden, nutzt Vasil zur Vorbereitung! Die Vereinten Dimensionen sind riesig und bewegen sich damit wie ein langsamer Apparat, nicht wahr? Wieso sollten wir dann nicht den spontanen Antrieb nutzen um ein erstes, bedeutsames Zeichen zu setzen? Schon immer hat der Widerstand gewartet und gewartet und gewartet. Meinst du nicht, dass wir etwas Neues ausprobieren sollten?«, antwortete Serce und wühlte in Haufen von Papieren auf seinem Tisch herum.
Etwas war anders. Vollkommen anders. Es war nicht das erste Mal, dass sich die Brüder stritten, aber Dask ließ das Gefühl nicht los, dass sich dieses Mal unterschied von den anderen Malen.
Generell machte sein älterer Bruder von Tag zu Tag einen anderen Eindruck. Sein Lächeln wirkte schwächer, seine Pläne undurchsichtiger. Wurde er nachlässig, oder holten ihn seine Dämonen wieder ein?
Woher sollte Dask das genau wissen, denn er war immer den ganzen Tag mit dem Training von Elphid beschäftigt. Ich weiß nicht mehr, was mit meinem Bruder los ist!
»Ein direkter Angriff aus unserer Situation in diesem Moment ist suizidal! Wieso bedeutet denn ›ein Zeichen setzen‹ nur ein Großangriff? Wir richten doch konstanten Schaden mit unserer momentanen Vorgehensweise an!«
»Natürlich hast du Angst vor einem Großangriff!«, rief Serce und stand explosiv auf. »Du warst immerhin derjenige, der uns letztes Mal in den Abgrund gestürzt hat mit dem Abschied der Krieger! Wage es bloß nicht meinen Plan eines Angriffes mit deinem emotionalen Zusammenbruch wegen Axilia zu vergleichen!«
Stille legte sich über den Raum, du nur noch gefüllt wurde mit dem leisen Spielen der Musikbox in der Ecke. Seitdem Serce und Doa aus der Welt der Musik zurückgekehrt waren, spielte dieses verdammte Lied ununterbrochen in seinen Gemächern. Dask verstand nicht, wie er das ertragen konnte, denn dieses Lied machte ihn persönlich Irre. Er war jedes Mal glücklich, sobald er es nicht mehr hören musste, denn er hatte das Gefühl, es trieb seinen Puls in die Höhe und verdrehte seinen Kopf.
Serce schüttelte sich den Kopf einmal aus. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht-«
»Nein, du hast recht, Serce«, unterbrach ihn Dask. »Ich bin vorbelastet, was die Idee eines Großangriffes angeht, wegen Axilia. Aber genau deshalb, weiß ich von allen es am besten, wenn es darum geht einen unvorbereiteten Zug zu unternehmen. Du kannst mich zurecht dafür verurteilen, dass ich tausende von guten Jungs und Mädels in den Tod geschickt habe, oder du vertraust mir darin, dass ich aus meinem Fehler gelernt habe und hörst auf mich, damit sich dieses Fiasko nicht wiederholt. Ich glaube nämlich, dass langsam wieder den Griff zur Realität verlierst« Seine Stimme war kalt. Nie sprach er so mit Serce, das war beiden bewusst. Doch wie konnte er anders, wenn er sich nicht einmal sicher sein konnte, ob sein Bruder wirklich noch bei Verstand war.
»Weißt du was ich glaube, Bruderherz? Ich glaube, dass du dich in deinem Verhalten wiederholst. Ich glaube, dass du derjenige von uns bist, der den Griff zur Realität verliert. Jeden Tag bist du weg und setzt alles in den kleinen Bruder von der Frau, die du verloren hast. Wahrscheinlich, weil du mittlerweile wirklich glaubst, dass sie noch da draußen ist. Dask, du hast sie sterben sehen! Weißt du eigentlich wie verrückt das alles ist, was ihr hier veranstaltet um Elphid herum? Ein Junge, der sein Leben lang in einer versteckten Welt gelebt hat, den wir nur gefunden haben wegen Iglias, einem Verräter des Widerstandes, und dann auf gut Glück ›gerettet‹ haben, aus dem Hauptlager der Dimensionswachen! Nur damit dir ein wenig später es total leicht fällt eine alte Schrift aus dem Kleiderschrank der Smaragdkönigin zu klauen! Dask! Wenn etwas je in meinem Leben zu einfach gewirkt hat, dann das!«
»Sind die Dämonen wieder da?«, fragte Dask, ignorierte jede Aussage und mied den Blick seines Bruders. Er konnte ihn nicht anschauen. Serce war wütend, vielleicht auch mit Recht. Aber sollte Dask ihn jetzt anschauen, dann… schlage ich dieses ganze Zimmer kurz und klein!
»Was soll die Frage denn jetzt? Kaum passt dir nicht mehr, was ich sage, holst du die Karte wieder raus? Oh ja, red deinen Bruder wieder damit klein, dass er anders ist!«
»Serce, dass habe ich nicht gemeint…«, sagte Dask und versuchte möglichst ruhig zu bleiben. Aber er benimmt sich wie ein kleines Kind!
»Doch, sag es ruhig! Wann wurde ich denn das letzte Mal heimgesucht von den Stimmen? Wann musste ich das letzte Mal einen Preis für meine Kräfte zahlen? Richtig, du hast keine Ahnung! Weil es dich auch nicht mehr interessiert, außer ich mache etwas, was dir nicht gefällt! Immer und immer wieder ziehst du diese Karte, um mich herabzustufen. Wenn du glaubst, dass du den Widerstand besser anführen kannst als ich, dann sag das doch endlich!«
Serces Augen liefen rot an und auch seine Adern wurden deutlich sichtbarer. Dask kannte diese Zeichen. Es war egal, was Serce behauptete. Vor ihm stand der Blutteufel und nicht sein großer Bruder.
»Ich bin mir verdammt sicher, dass Serce ein wunderbarer Anführer ist und auch immer war. Du aber bist gerade nur noch die Hülle deiner selbst! Du willst von mir wissen, wann du das letzte Mal einen Preis für deine Kräfte zahlen musstest? Jetzt in diesem Moment! So verfluche ich Vasil bei seinem Namen, so ein Monster darf hier nicht anführen. Bruderherz, bitte komm wieder zu dir!«, schrie Dask seinen Bruder an und haute mit voller Kraft auf den Tisch, der etwas splitterte.
Ein spitzer Pfeil aus Blut, schneller als jedes gewöhnliche Geschoss, flog auf Dask zu und verfehlte sein Gesicht nur knapp. Es riss ihm die Wange auf und Dask verzog vor Schmerzen das Gesicht.
»Verschwinde aus meinem Widerstand«, sagte Serce. Seine Augen glühten vielleicht, aber seine Miene war eiskalt. Das Blut, dass aus Dasks Wunde tropfte, fing durch eine simple Handbewegung von Serce langsam durch die Luft zu fließen und umwickelte den Arm von Serce. »Ich will dir nicht weiter weh tun. Dieser Augenblick musste früher oder später kommen, das wissen wir beide. Also bitte, Bruderherz, verschwinde aus meiner Welt.«
Dask zerriss es innerlich, denn alles in ihm schrie: Waffe ziehen und Angriff! Aber bei den Göttern, das war sein Bruder… Egal wie tief er sinken würde, wie sollte Dask gegen sein eigenes Blut eine Waffe erheben?
»Ich bitte dich«, zischte Dask zwischen den Zähnen hindurch. »Elphid und Fidi sind noch da draußen auf Mission. Du kannst mich doch nicht wegschicken, ohne, dass ich ihnen die Lage erkläre.«
»Du bist gegangen aus freiwilligen Stücken, das werde ich ihnen zumindest erzählen. Den Segen gebe ich dir noch, dass sie nicht erfahren werden, was hier wirklich passiert ist. Du musst begreifen, dass du nicht gut für sie bist. Elphid geht kaputt unter den Erwartungen und Fidi hat sich dem Rest von uns nie geöffnet. Gib ihnen eine Chance, ohne dich. Sonst enden sie noch wie Axilia.«
Dask sackte in sich zusammen. Er verlor alles, gefühlt in Zeitlupe und doch so schnell, während er völlig machtlos war. Was sollte er auch tun? Einen ganzen Bürgerkrieg im Widerstand anzetteln gegen Serce und alle noch mehr spalten, jetzt, wenn es endlich nach oben ging wieder? Ausgerechnet jetzt, wenn sich der Widerstand erholte, nachdem Dask ihn zerstört hatte?
Auf keinen Fall konnte er so einen Konflikt vom Zaun brechen, ohne völlig sicher zu sein, dass er im Interesse aller anderen handelte. Doch diese Sicherheit besaß er momentan nicht…
»Bitte, pass auf Elphid und Fidi auf«, sagte Dask und gab sich geschlagen.
Die fliegende Blutspur fiel und klatschte auf den Boden. Serce flickte noch im gleichen Zug die Wunde seines Bruders.
»In einem anderen Leben wäre es nicht so gekommen, Bruderherz.«
Dask nickte und verließ den Raum. Noch beim Rausgehen lauschte er den schrecklichen Tönen des Liedes aus der Welt der Musik. Vielleicht war es nur Einbildung, aber Dask könnte schwören, dass die Noten ihn auslachten und triumphal sangen, so als ob sie die Sieger waren.
*
Serce stand triumphal, nachdem die Schlacht vorbei war. Er konnte es so klar vor sich sehen, als ob es Realität wäre. Seine Flagge, die Flagge des Widerstandes, flatterte hocherhoben im Winde, denn endlich war ihre Zeit gekommen. Mit seinem Fuß trat er auf die Stoffüberreste der verbrannten Abzeichen von Vasil und seinen Welten. Einem unendlichen König, der das Ende seiner Amtszeit erleben würde.
Wir haben gesiegt, sprach die Stimme seines Teufels, die ihm mittlerweile so vertraut war. Noch vor einigen Monaten bezeichnete er sie als Feind und Widersacher, doch nicht mehr. Serce merkte endlich, dass dieser Teufel der Verbündete war, denn er immer gebraucht hatte. Fälschlicherweise bezeichnete er ihn als Dämon, dabei war er die ganze Hälfte seines erhabenen Titels.
Die Melodie, die er mit Doa aus der Welt der Musik stahl, spielte in seinem Kopf. Er wurde sie gar nicht mehr los, doch das wollte er auch nie. Ihre ruhigen Noten und sanften Klänge brachten ihm Ruhe, während ihr Tempo doch so unheimlich ergreifend war. Nichts brachte ihn mehr in Laune und Lust, als dieses Lied. Wie eine Droge war sie mittlerweile ein Teil von ihm, den er nicht mehr abschütteln konnte.
»Der Abschied der Krieger«, sagte Serce für sich. »Wir haben euch gerächt. All ihr verstorbenen Soldaten, die hier damals gefallen sind, wir haben euch gerächt! Soll mir noch einer erzählen (!), dass mein Bruder der bessere Anführer wäre! Unter ihm seid ihr gestorben, abgeschlachtet wie Tiere! Aber unter mir? Unser glorreicher Sieg, mein glorreicher Sieg über die verdammten Bastarde von Vasil und seinen falschen Göttern!«
Feiernd zogen seine Truppen über das Gelände, auf dem noch vor einigen Minuten gekämpft wurde. Ihre Schreie füllten die Stille, die nach dem Krieg immer kam. Egal ob Verlierer oder Sieger, die Welt war für gewöhnlich Still. Es kam nur darauf an, ob diese übertönt wurde mit Schreien der Freude, oder der Schmerzen.
Über die Felder und Wiesen, in allen Farbe. Grün, Gelb, Rot und Blau, sang die dunkle, hallende Stimme hinter ihm die Hymne der Freiheit. Über die Flüsse und Seen, in allen Farben. Lila, Weiß, Orange und Grau.
»So soll mein Ruf der Freiheit klingen«, beendete Serce den Text. »Mein Ruf der Dimensionen«
Wie Fehler in einem Gemälde, die einem erst auffielen, wenn man zu lange darauf starrte, schlich die Realität langsam in den Blickwinkel von Serce.
Eine Truppe an Soldaten, seinen Soldaten, schritt an ihm vorbei. Serce betrachtete das eingestickte Logo auf der linken Schulter.
Blut.
(Dein Blut.)
»Nicht mein Blut.«
Ihr Blut?
Das Blut unserer Feinde.
»Es ist ihr Blut…«
Der Soldat drehte sich zu Serce um
(Er lächelt)
Ein Strom an Blut floss an seinem Hals und aufgeschnittenen Kehle herunter. Er lächelte tatsächlich, doch es wirkte erzwungen. Wenn man plötzlich vor seinem Anführer und Chef stand, dann musste man lächeln, nicht wahr? Egal wie schlecht es einem ging.
»Immer lächeln, richtig?«, fragte der Soldat, an dessen Name sich Serce nicht einmal mehr erinnerte. Blut quoll aus seinem Mund. »So wie sie es immer tun.«
Der Sonnenschein über dem Schlachtfeld zerbrach mit einem Donner. Leichter Regen eilte über die Leichen, die nun in Haufen in Blutlachen und Schlammpfützen lagen.
Serce rannte. Er rannte über das Feld des Chaos, ohne Ziel und Verstand, mit dem Willen das Ende zu erreichen. Diese Illusion, sie musste ende. Es war nicht die Wahrheit, denn es fühlte sich für ihn nicht danach an! Alles davor? Das war die Realität! Dies war nur ein schlechter Trick um ihn von seinem Erfolg abzuhalten. Er rannte und rannte und rannte.
Serce stolperte über eine Leiche, fiel und wachte auf. Schweißgebadet und gleichzeitig eiskalt schluchzte er aus seinem Stuhl auf. Sein Besprechungszimmer war noch da, er selbst war noch da und die unendlichen Tonnen an Stein in Epanas waren auch noch da.
Nur sein Bruder, den er vorhin wegschickte, war nicht mehr da.
Serce war tatsächlich alleine. Das, was er so viele Jahre versuchte zu vermeiden, war eingetreten.
Nicht alleine, sagte die Stimme. Der Widerstand steht dir zur Verfügung und ich bin noch hier.
Es hatte recht. Serce war nicht alleine. Doch auch, wenn viele behaupten würden, dass es ein Fehler sei, sich mit seinen Dämonen zu befreunden, so fühlte sich Serce noch nie so wohl in dieser Welt, wie in diesem Moment…
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