»Ich weiß, dass Serce gut im Inneren ist. Das Problem ist leider nur, dass er nicht das Einzige ist, was dort in ihm wohnt…«
Der Blutteufel
Ort: Versteck des Widerstands, Epanas.
Serce ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen. Dask, Fidi und Elphid waren schon lange aufgebrochen und Doa brauchte sicherlich noch ein wenig Zeit um sich auszuruhen. Serce war davon überrascht, wie talentiert Doa doch war. Ein noch so junges Mädchen, aber so viel Leidenschaft in ihrer Arbeit. Das Beste daran; ihre Magie besaß so viel Potenzial. Sie ist bereits jetzt so gut in der Musik. Vielleicht sind ihre Ziele sehr ambitioniert, doch erreichbar, dachte Serce.
Wenn Dask seine Lieblinge mit Fidi und jetzt auch Elphid haben durfte, dann hatte Serce wohl auch das Recht dazu!
Dennoch war er nun alleine. Nur er und die massiven, kalten Steinwände von Epanas um ihn herum. Ein Ort, der sonst so heimisch auf ihn wirkte, war so schnell angsteinflößend geworden. Dies sollte der Rückzugsort für all die sein, die verfolgt wurden. Leider konnte nur Serce nicht vor seinen Dämonen hier fliehen. Genau deshalb hatte er sein Arbeitszimmer auch zum Besprechungszimmer gemacht. Viel weniger Zeit alleine…
Serce zog seine Lederhandschuhe aus und krempelte die Ärmel hoch. Seine Narben, die sich primär über seinen linken, aber auch teilweise über seinen rechten Vorderarm verteilten, brannten. Es war unfair, oder nicht? Doa, sie konnte ihre wunderbare Magie wirken, in dem sie Musik spielte. Dask, er griff in die Luft und Waffen materialisierten sich aus dem Nichts oder Feuer schoss aus seiner Hand. Fidi konnte sich aus freiem Willen teleportieren oder in die Seelen der Sterblichen schauen. Wozu Elphid wohl alles in der Lage sein würde, darüber wollte er sich nicht einmal Gedanken machen.
Doch was war mit ihm selbst? Jedes Mal, wenn er auch nur ein Hauch seiner Magie einsetzen wollte, musste er sich selbst verletzen. Seinen eigenen Arm mit einer Klinge aufschlitzen, Schmerzen und Blut opfern, nur um an seine eigenen Kräfte zu gelangen. Auch wenn eigene Kräfte wohl eine Übertreibung ist, nicht wahr?
Immer vermied er es darüber nachzudenken, doch immer, wenn er alleine war, wurden die Stimmen des Zweifels lauter. Letztendlich war er ein Betrüger, oder nicht? Der Anführer des Widerstandes, der nicht einmal wirklich ein Dimensionsmagier war. Eher ein Lügner, der sein breites Lächeln aufsetzt und durch seine charmanten Worte an diese Position gelangt war, obwohl es sein Bruder hätte sein sollen.
Vielleicht wurdest du aber auch nur der Anführer, weil du älter warst, dachte er. Besser im Reden und Überzeugen, während bei Dask die Gewalt im Vordergrund steht. Dies war die rationale Erklärung, doch wer hörte schon in Zeiten der Verzweiflung auf die Rationalität?
Jeder hier hatte die Magie gemeinsam, außer er. Seine Kraft war keine Magie, kein Produkt der Zwischenwelt. Er konnte sich nie als Kind der Hoffnung sehen, weil alles, was er besaß, nur auf dem Grund der Angst wuchs.
Serce schloss die Augen und führte sich vorsichtig über die Narben. Wahre Krieger trugen ihre Narben, weil sie von besiegten Gegnern stammten oder aus heldenhaften Schlachten. Sie konnten sie mit Stolz tragen, weil sie zeigten, dass sie das Schlimmste überlebten. Serce konnte das jedoch nicht, denn seinen wahren Feind hatte er nie besiegen können…Sich selbst, oder eher das, was auch immer in ihm wohnte.
So driftete er also ab, spürte seine unebene Haut und verschwand in seinen Gedanken. Weg, in die Zwischenwelt. Vielleicht würde eine Meditation, ein kleiner Ausflug, seine Stimmung erheitern.
Serce öffnete seine Augen panisch. Das kalte und leere Besprechungszimmer war verschwunden. Normalerweise würde er nun die warme Brise auf seiner Haut spüren und das großartige Magierdorf Magika, seine Heimat, vor sich sehen. Die riesigen Baumhäuser, die eins geworden sind mit dem Wald. Die vielen bekannten Gesichter. Sein Zuhause, bevor alles verschwand.
Stattdessen überschlug in die Hitze. Die Nacht umgab ihn, doch sie wurde erhellt durch die lodernden Flammen der Zerstörung. Die Schreie der vielen bekannten Stimmen bohrten sich in seine Hörkanäle. Es war die Nacht, in der alles verschwand, in der Dask und er alles verloren.
Serce fiel zu Boden. Wieso war er hier? Wenn er meditierte, so ging er in die Zwischenwelt und erschuf sich seine alte Heimat aus wunderbaren Erinnerungen. Doch heute erlebte er das Grauen erneut, was ihn in seinen Alpträumen verfolgte…
»Das ist es, was er dir angetan hat«, sagte eine bedrohliche Stimme hinter ihm. Eine Stimme, die er seit so vielen Jahren glücklicherweise nicht mehr hören musste. Doch nun war dieses Monster, dieser Teufel hier. »Er hat deine Heimat verbrannt. Doch du, du hast ihm noch nichts genommen…«
Serce zitterte am ganzen Körper, sein Atem unkontrolliert. Jeden Tag betete er an die vergessenen Götter, damit dieses Monster ihn nicht heimsuchte. Waren alle Gebete für nichts?
»Wann wird deine Rache bekommen, Serce? Du bist durstig nach ihr. Durstig nach dem Blut deiner Feinde! Wann wirst du diesen Durst stillen?«, fragte das Monster. Serce traute sich gar nicht, sich umzudrehen und es sich anzuschauen. Doch er hörte, wie das Blut leise von dem Körper der Kreatur tropfte.
»Ich brauche dich und deine Ratschläge nicht«, sagte Serce, seine Stimme war schwach.
»Du brauchst mich! Ohne mich sind all deine Kräfte eine Lüge!«, ermahnte ihn die Kreatur. Was sollte Serce ihr entgegnen? Hatte sie nicht recht damit?
»Unsere Pläne laufen perfekt«, sagte Serce leise. »Wir bekommen wunderbare neue Rekruten, wir bekommen alle Hinweise, die wir brauchen. Es gibt keinen Grund, irgendetwas zu überstürzten.«
Die qualvollen Schreie aus dem brennenden Dorf vor ihm schrien erneut auf. Eine Dorfbewohnerin, eine junge Frau, sie rennt panisch aus einem Feuer, ihr halber Körper am brennen.
Er konnte das alles nicht mehr. Es wurde von Tag zu Tag, nein, von Stunde zu Stunde anstrengender und schwieriger, diese Maske der Leichtigkeit aufrechtzuerhalten. Serce war müde, doch er durfte nicht müde sein. Er musste kämpfen, für die Widerstand. Für all diejenigen, die nicht die Kraft aufbringen konnten, die Serce und auch Dask jeden Tag zeigten. Irgendwer musste all das hier anführen und planen, damit Vasil endlich sein verdientes Ende fand. Blutend und leidend vor den Knien der Leute, die er schon immer quälte. Vasil musste noch scheitern in diesem Leben. Er musste den Preis bezahlen für den Völkermord an den Magiern, an der Familie und den Freunden von Dask und Serce. Das musste Serce sicherstellen, egal was es kostete.
»Mit jedem Tag, den du ihm schenkst, wird sein Griff fester. Die Erinnerung an die Schlacht am ›Abschied der Krieger‹ wird immer schwächer. Du musst handeln! Wir müssen handeln!« Die Worte des Teufels bohrten sich in den Schädel von Serce. Sein Hass, er loderte auf, wie die Flammen in seinem Blickfeld. Vasil wird für all das bezahlen, dachte er. Endlich wird er bezahlen!
Die Fantasien seiner Rache reihten sich in seinem Inneren auf. Er alleine in der Heimat von Vasil. Die Wut loderte in ihm, wenn er daran dachte durch das Lager der Dimensionswachen zu fegen und jeden von ihnen umzubringen für ihren Verrat. Den Verrat an ihren eigenen Leuten. Jede Wache! Sie jagten die Sterblichen für die Magie, die sie selbst ebenfalls benutzen, nur um dieses schreckliche Leben unter Vasil zu führen. Sie alle wurden verführt von falscher Sicherheit! Vasil, der all die Sterblichen gegeneinander ausspielte, nur um seine Macht zu sichern, lachte ihnen damit ins Gesicht. Er predigt, dass sich nie etwas unter ihm verändern würde? Das tut er doch nur, weil der Hauch an Veränderung das uralte Kartenhaus von ihm zerstören würde! Serce würde jede Wache, jeden Diener, jeden selbsternannten Gott zu Ende bringen! Jeder Tod durch seine Hand würde ihn mächtiger machen. Seine Magie war kein Fluch, sondern ein Segen, voller herrlicher Ironie! Er verletzte sich selbst, um eine Wache zu töten, nutzte dann das Blut der toten Wache, um weitere Wachen umzubringen. Eine aufgeschnittene Kehle dort, ein durchbohrter Schädel woanders. Kraftvoll könnte er all das auslaufende Blut aufsaugen und damit ein Wirbel der Zerstörung auslösen! Ein Tornado, bestehend aus dem Blut der Verräter und seiner Feinde!
Mit hasserfüllten Augen und schwerem Atem blickte er noch einmal auf sein in Flammen stehendes Dorf. Die Narben an seinen Armen waren offen, das Blut tropfte an den Fingern herunter.
»Jeder von ihnen wird leiden, für all das hier! Der Tag meiner Rache, er wird kommen. Ich kann es schmecken in all dem Blut!«, rief er in die helle Nacht hinaus. Schon so lange hatte er all diese Gefühle nicht mehr herausgelassen. Immer wieder versuchte er sie zu unterdrücken, doch wieso? Es waren die Gründe, warum er all dies tat. Die Gründe, warum der Widerstand überhaupt existierte!
Und das Monster hinter ihm, es brachte ihm die Bestätigung, die er suchte… Doch wieso sollte er sich dafür schämen? Vasil war das größte Monster, das er kannte. So lange kämpften sie vergeblich gegen seine Armeen und selbsternannten Götter, ohne Erfolg… Der Abschied der Krieger hat genau gezeigt, dass all das zu nichts führte.
Der Widerstand brauchte einen Helden an der Spitze, an denen sie glauben konnten. Das wusste Serce. Doch niemand hatte gesagt, dass dieser Held auch heldenhaft im Inneren sein musste, oder? Feuer besiegte man immer am besten mit Feuer. Wenn Vasil also ein Monster sein durfte, dann konnte Serce das genauso gut…
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