Sie sollen hängen! – Kapitel 13

Sie sollen hängen!

Zeit: 15 Jahre zuvor Ort: Emeraldus

»Monster! Suizidale Wahnsinnige! Geschöpfe der Hexerei! Abschaum der Sterblichen!« All das waren Ausrufe und Schreie, die aus der Masse an Sterblichen kam. Elphid blickte auf die Menge hinab. Er stand auf einem der großen Häuser im Zentrum von Emeraldus, das erkannte er. Erst von hier oben realisierte er wirklich, wie viele Sterbliche sich tatsächlich auf diesem Platz versammeln konnten. Doch wie war er überhaupt hier oben hingekommen?
»Wir sollten lieber wieder gehen. Als meine Eltern mir gesagt haben, dass ich auf Elphid aufpassen soll, war wohl nicht damit gemeint, ihn zu einer Hinrichtung mitzunehmen!«, sagte die Stimme seiner Schwester. Schon wieder war sie nirgends zu sehen, auch wenn es sich so anhörte, dass sie direkt neben ihm stand. Wieder so eine Erinnerung?, dachte Elphid.
»Er wird sich daran nie erinnern, dafür ist er zu klein. Ich wäre überrascht, wenn er sich überhaupt merken konnte, wie ich heiße«, erklang eine verzerrte männliche Stimme. Er konnte sie nicht zu ordnen, egal wie sehr er es versuchte. Jemand, der mit seiner Schwester in Emeraldus war und sich mit ihr um Elphid kümmerte? Lustigerweise hat er recht. Ich kann mich an seinen Namen nicht erinnern. An diesen Moment aber schon…
»Dann lass es mich anders sagen…Ich will mir auch nicht wirklich eine Hinrichtung angucken. Warum sind wir überhaupt hier?«, fragte Axilia. In ihrer Stimme lag ein Unbehagen.
»Ich kannte die Jungs da unten. An ihrem Schicksal kann ich nichts mehr ändern, doch das hier, ist das Mindeste, was ich für sie tun kann. Du kannst schon wieder zum Versteck gehen, aber ich will ihnen noch die letzte Ehre erweisen. Auch wenn ich es nur für mein eigenes Gewissen tue…«
Die Gefangenen, die unten auf der Holztribüne standen, wurden nebeneinander aufgestellt, ihre Füße an den Boden gefesselt, sodass sie sich nicht bewegen konnten. Der Holzstamm auf ihrem Rücken wurde in ein dafür vorgesehenes Loch im Boden befestigt. Zusätzlich wurden sie mit Eisenketten um ihre Stämme herum miteinander verbunden. Genau konnte Elphid es von hier oben nicht erkennen, doch er war sich ziemlich sicher, dass sich die dreckigen Lacken, die sie als Kleidung trugen, sich langsam weiter rot färbten. Die Ketten mussten ihnen ins Fleisch schneiden.
»Die vorgeführten Gefahren für die Gesamtheit der Sterblichen in den gesamten Dimensionen, und besonders hier in dem grünen Paradies Emeraldus, sind: ›Teun Brasser‹, ›Vera Deters‹…« Der Sprecher fuhr fort und nannte noch drei weitere Namen. Er war vielleicht nicht derselbe schmierige, ekelige, dicke und miefende Redner wie bei der Hinrichtung, bei der Elphid bewusstlos geworden war, doch mindestens genauso abstoßend. »Sie sind dazu verurteilt, ihre letzten Tage hier in Scham zu verbringen und so ihr gerechtes Ende zu finden, so wie es der unendliche Herrscher bestimmt hat!«.
»Sie werden da unten jetzt stehen gelassen, bis sie verrotten?«, fragte Axilia unglaubwürdig.
»Es ist ein Schauspiel, das sich nun viele Tage hinzieht. Alle paar Stunden geht eine Wache zu ihnen und fügt ihnen eine neue Wunde zu. Jetzt bluten sie an ihren Bäuchen, durch die scharfen Ketten. Als Nächstes schneidet ihnen jemand die Hände auf, dann die Unterarme, Beine, das Gesicht und auch die Brust. In ein paar Tagen sind sie rottende, von der Sonne gekochte Wesen, die nur noch flach atmen. Irgendwann stoppt dieses Atmen, doch das Rotten geht weiter. Alles, bis es der Königin ekelhaft genug ist.«
Axilia schwieg. Elphid konnte sie vielleicht nicht sehen, doch er spürte, wie angewidert sie doch war. Es war eine grausame Methode und jeder Zweifel verschwand in Elphid. Der Widerstand musste im Recht sein. So gegen Sterbliche vorzugehen, nur weil sie die Fähigkeiten der Magie besitzen? Auf keinen Fall konnte das richtig sein. Sicherlich konnte man andere damit verletzten, doch das konnte jeder. Diese Magie sorgt ja nicht dafür, dass man losgehen will auf Unschuldige. Sollten dies dort unten wirklich Verbrecher sein, die grausames angestellt hatten, dann war das nicht so, weil sie Magier waren, sondern weil sie böse Sterbliche waren. Genauso gut hätten sie mit Waffen oder ähnlichem jemanden verletzen können.
Das alles ist keine Lösung für ein Problem. All das hier ist nur eine Demonstration gegen den Feind und Angstmache, erkannte Elphid.
Richtig, sagte eine Stimme in seinem Inneren. Sie klang so ähnlich wie die seiner Schwester. Hatte er sie wirklich nur in seinem Kopf gehört, oder hatte Axilia das in seiner Erinnerung gesagt?
Nichtsdestotrotz fühlte Elphid ein Gefühl von Richtigkeit und Erkenntnis. Falls diese Erinnerungen ihm irgendwas sagen wollen, dann war es in diesem Fall genau das.
»Ich werde einen Weg finden, diese Hinrichtungen zu stoppen«, sagte Axilia. »Das nehme ich mir vor. Keinerlei Hinrichtungen mehr.«
Die andere Person schien darüber leicht zu lachen. »Ein wirklich löbliches Ziel. Wenn es jemand schafft, dann du. Da bin ich mir sicher.«
»Und für den Fall, dass ich es nicht schaffe, wird es der kleine Elphid schaffen.«
Dies waren die letzten Worte von Axilia, bis ihre Stimme wieder leise verschwand. Elphid schaute noch einmal auf den Platz der Hinrichtung. Langsam zerstreuten sich die Massen und nur noch die Hingerichteten waren übrig. Sie wurden alleine ihrem Schicksal überlassen. Elphid wusste, dass diese Sterblichen bereits vor Jahren gestorben sind, doch trotzdem fiel es ihm schwer sie hier alleine zulassen.
Keinerlei Hinrichtungen mehr, dachte Elphid. Das werde ich mir vornehmen.

*

Elphid erwachte mit einem dröhnenden Schädel. Er war müde, erschöpft, energielos und jedes andere Wort, was eine fehlende Kraft beschreiben könnte. Noch nie hatte er sich so kaputt gefühlt, wie in diesem Moment. Er lag in einem Bett, umgeben von Dask und Fidi. Die Szene erinnerte ihn an den ersten Morgen in Epanas, nachdem er in Meksa bewusstlos wurde.
»Es ist schon wieder passiert, nicht wahr?«, keuchte Elphid leise. Seine Stimme war beinah vollkommen weg.
»Ich befürchte ja«, sagte Dask. »Die Situation im Stadtzentrum schien zu viel für dich gewesen zu sein und das hat einen erneuten Zwischenfall ausgelöst. Fürs Erste solltest du wahrscheinlich hier bleiben und dich wieder ausruhen.«
So schnell werde ich wieder auf die Bank geschickt, dachte Elphid panisch. War er also noch nicht bereit? Das durfte nicht sein! Er musste weitermachen und seine Schwester finden. Da hatte er doch keine Zeit, sich hier auszuruhen!
»Ich muss weitermachen«, sagte Elphid und täuschte eine falsche Kraft in seiner Stimme vor.
»Auf keinen Fall! Weißt du, wie schwer es war, dich da aus der Masse zu holen, ohne dass die Wachen zu skeptisch wurden? Wir können kein Risiko mit dir eingehen, bis wir eine Lösung gefunden haben«, sagte Fidi und klang ernsthaft besorgt. Hatte er ihr wirklich solche Probleme gemacht?
»Aber ist dieser ganze Job kein Risiko?«, fragte Elphid. »Ihr habt doch selbst gesagt, dass ich zu den meistgesuchten Personen ab jetzt zähle. Jeder Schritt, den ich mache, ist ein Risiko. Habt ihr nicht gesehen, wie viele Wachen es da draußen gibt? Magier scheinen hier regelmäßig hingerichtet zu werden, wahrscheinlich in allen Welten. Ihr könnt mich nicht vor all den Gefahren beschützen und das will ich auch nicht. Wenn die Welten wirklich so gefährlich sind, dann habe ich nur noch mehr Gründe so schnell wie möglich meine Schwester zu finden!«
Stille legte sich über den Raum. Wahrscheinlich hatte keiner der beiden damit gerechnet eine Standpauke von Elphid zu bekommen, doch diese Erinnerung hatte ihm etwas gezeigt. Die Welten waren gefährlich, doch seine Schwester hatte ein Ziel und dem musste er auch nachgehen. Schließlich war er besonders, nicht wahr? Dann musste er diese Kräfte auch nutzen und nicht wie eine Geheimwaffe versteckt werden, nur weil man zu viel Angst hatte sie zu verlieren!
»Du wirst diesen Hinrichtungen von heute auf morgen aber kein Ende bereiten, Elphid«, erklärte Dask ruhig. »Es ist ein löbliches Ziel, aber so leicht ist das nicht.«
»Das ist mir egal! Meine Schwester wollte schon alle diese Hinrichtungen aufhalten, also werde ich das auch tun!«
Dask starte Elphid an. Habe ich was Falsches gesagt?
»Du bist doch wahnsinnig! Elphid, du hast kein Training, Erfahrung oder Sonstiges. Die Wachen werden dich zerstückeln! Wir haben dich nicht gerettet, damit du sofort dein Leben wegwirfst, Wir-«
»Vermutlich ist deine Verbindung mit der Zwischenwelt wirklich gestört und die Lösung wird es sein, einmal wirklich zu meditieren und sie selbst zu betreten. Erst wenn du wirklich Kontrolle darüber hast, kannst du anfangen zu lernen. Ich werde alles vorbereiten, damit du es noch heute Abend probieren kannst. Sollte dies funktionieren, dann beginnen wir unverzüglich mit dem Training«, erklärte Dask und stand auf.
»Was soll das denn? Du hast gerade noch etwas völlig anderes gesagt?«, beschwerte sich Fidi.
»Er hat gute Argumente gebracht, dagegen kann ich nichts tun.«
»Ich bin in einer Truppe voller Wahnsinnigen gelandet…«, sagte Fidi und seufzte, doch sie schien das Urteil anzunehmen.
»Vielen Dank, Dask«, sagte Elphid schließlich und versuchte seine Aufregung zurückzuhalten.
»Wenn es einer schaffen sollte, dann sicherlich du, Elphid«, sagte Dask und verließ das Zimmer.
Auch Fidi ging nach einigen Minuten, nachdem sie und Elphid noch ein wenig über Emeraldus und die Hinrichtung gesprochen hatten. Sie schien sich wirklich Sorgen gemacht zu haben, was Elphid auch sehr schätzte. Leider begriff er schnell, dass er mit zu viel Vorsicht nichts erreichen würde. Klar, das Risiko war hoch am Ende genauso wie Daan Blenke oder die anderen Hingerichteten zu Enden, aber blieb ihm eine Wahl? Zudem musste er all das ja gar nicht alleine bewältigen. Fidi und Dask waren ja zum Glück an seiner Seite.
»Endlich werde ich trainieren und ein richtiger Magier werden!«, rief Elphid, als er alleine im Zimmer war. Die anderen hatten ihn sicherlich gehört, doch das war ihm egal. Das Einzige was zählte war, dass er seiner Schwester einen Schritt näher gekommen war!

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