Der Geschichtenerzähler – Kurzgeschichte

Diese Nachricht geht an jeden Einzelnen da draußen, in diesen unendlichen Welten. Egal ob Sterblicher, Gott oder dazwischen. Nimmt diese Worte auf als eine Erklärung oder eine Entschuldigung für all das, was ich tun werde. Meinen Namen habe ich vor Zeiten bereits verloren. ›S‹ ist das, was sich am richtigsten anfühlt. In die Geschichte werde ich aber eingehen als ›Istoria‹, der Geschichtenerzähler. 

Der Geschichtenerzähler – Kurzgeschichte

Dies waren die ersten Worte, die ich in dieses Testament geschrieben habe, doch schon nach drei Sätzen war ich erschöpft. So verschwand die Feder in meiner Hand und verpuffte in der Luft. Ich lehnte mich zurück in meinem einfachen, gepolsterten Holzstuhl. Auch damals bevorzugte ich einen einfachen Raum im Nirgendwo, völlig aus Holz, alleinig erhellt durch Kerzenlicht. Schön, dass sich manches nie änderte. Nur war ich damals noch völlig alleine. Wäre Ayil nicht, so wäre das heute wahrscheinlich immer noch so. Doch ich schweife ab.
Ich musste diesen Text fertig bekommen, das wusste ich. Also setzte ich mich wieder gerade hin, mein Blick wieder fokussiert auf das damals noch sehr leere Buch. Die Reise, die vor mir liegen würde, war nicht leicht. Ich wusste das damals bereits, doch letztendlich wurde diese Reise doch so viel anders als erwartet. Unerwartet, aber im schönen Sinne. Einige Geschehnisse waren wirklich unvorhersehbar. Viel überraschender war aber die ein oder andere Gestalt, der ich begegnet war.
Also griff ich in die Luft und meine Schreibfeder materialisierte sich erneut in meiner rechten Hand. Wirklich eine interessante Art der Magie habe die Leute da. Manchmal kommen Hoffnung und Angst auf witzige Ideen, diese kleinen Kinder, dachte ich, als ich die neue Feder betrachtete. Ich habe nur nie verstanden, warum die Sterblichen so sparsam mit der Materialisierung umgehen.
»Wer oder was ich genau bin?«, schrieb ich weiter. Dies war sicherlich eine Frage, die sie sich stellen würden, richtig? Selbst wenn, war es mir egal. »Manchmal wüsste ich das auch gerne. Bin ich ein Sterblicher? Nun ja, das Alter scheint mich in den letzten Jahrhunderten nicht eingeholt zu haben. Zumindest sehe ich keinen Tag älter aus als dreißig, also dank den Göttern dafür.«
Solche Ausdrücke waren mir immer fremd. ›Dank den Göttern‹. Warum sollte ich? Ich habe oft mit den verschiedensten von ihnen geredet. Zum Danken würde ich zu denen sicherlich nicht reisen. Eine reine Zeitverschwendung. Da fiel mir ein, vielleicht sollte ich das auch aufklären.
»Ein Gott bin ich ebenfalls nicht, und war ich auch nie. Manchmal habe ich es mir in der Tat gewünscht, doch sie alle waren nie so, wie man sie sich vorstellte. Vielleicht die ein oder andere Göttin, doch auch die, die zu nett waren, hatten ihre großen Fehler. Letztendlich bin ich nur ein Mensch. Auch wenn dies ein abstrakterer Begriff ist, und ich mir oft wünschte, dass ich mehr als das wäre, so bin ich es nicht.«
Was eine traurige Antwort, dachte ich, doch es war die Wahrheit. Vielleicht war das, was ich tat, nie menschlich, doch ich war es. Mein alter Freund, Rivale oder auch Feind, bezeichnete sich oft als ›Halbgott‹, doch das erschien mir übertrieben. Das, obwohl er immer der von uns war, der am Boden geblieben war. Sicherlich konnte ich ihm aber nie zustimmen, das hätte mein Ego nicht verkraftet, weshalb ich mich simpel als Mensch sah. Doch viel mehr als das war ich am Ende immer ein Geschichtenerzähler.
»Wofür schreibe ich diesen Text?«, schrieb ich weiter. »Damit meine Taten am Ende eine Erklärung besitzen. Was ich alles tun werde? Ich weiß es nicht.« Und ich wusste es wahrlich nicht. Ich wusste, was ich zu erreichen hatte, aber nicht, was ich alles dafür geben musste. Um ehrlich zu sein, weiß ich es bis heute nicht. »Jedes dieser Worte ist geschrieben, bevor ich meine Taten vollführt habe.«
Eine reine Lüge im Nachhinein, doch ich wollte mich wohl an einem Ideal richten, das nicht möglich war. Selbst für mich.
»Ob ich als Held, oder Bösewicht in die Geschichte eingehe, ist mir einerlei. Nicht einmal ich weiß, ob ich Gutes, oder Böses vorhabe. Letztendlich will ich nur eines: Diasteri retten.«
Istoria, du dramatischer Drecksack. Ja, das war mein Ziel. Ist es auch immer noch. Manchmal bin ich nur selber überrascht, wie dramatisch ich werde.
Das hier war wohl noch sanft für meine Verhältnisse, hatte mir Ayil gerade gesagt. Manchmal konnte es diese Frau auch nicht lassen, alles zu kommentieren, was ich tat. Doch ich kann es ihr nicht verübeln. Sie hielt meine große Klappe aus, also tolerierte ich ihre Gewieftheit. Zudem war ihre Intelligenz das, was ich so anziehend fand an ihr. Das, und die pure Schönheit, die sie mit sich trug. Ich merke dennoch, dass ich wieder ablenke. Ich sollte weiter erzählen, wie ich damals dieses Buch angefangen habe.
»Ich weiß wirklich nicht, wie ein einziger Text mich rechtfertigen soll, vor all den unterschiedlichen Menschen in Diasteri. Die unendlichen Welten, mit all ihren unterschiedlichen Sprachen, Kulturen, Regeln und Gesetzen«, schrieb ich also weiter. Es war wirklich nicht leicht, diesen Text zu schreiben. Was eine Ironie, dass der Geschichtenerzähler Schwierigkeiten hatte, seine eigene Geschichte zu erzählen.
»Noch schwieriger mich und meine Taten verständnisvoll zu vermitteln wird es wahrscheinlich, weil nur die wenigsten, die diesen Text lesen werden, die wahre Größe von Diasteri verstehen. Jeder Dimensionsreisender, der die Größe von Diasteri begreift, wird mich persönlich kennen. Vielleicht ist für sie dadurch dieser Text unwichtig. Jeder andere, wird viel grübeln und einige dieser Texte nie begreifen.«
Dies war der Moment, in dem ich noch einmal schwer überlegte, ob ich es wirklich tun sollte, was ich vorhatte. Wenn ich diesen Text, und alle Berichte danach schreiben würde, so würde ich das Leben jedes Lesers vollkommen verändern. Ihr Weltbild würde zerbrechen. Konnte ich ihnen das wirklich antun?
Selbstverständlich konnte ich das, und ich musste es auch.
»Egal wie viel du zu wissen vermagst über die verschiedenen Welten und Dimensionen, geehrter Leser. Ich kann dir versichern, dass es ein Bruchteil der Wahrheit ist. Deine wahrgenommene Welt ist nur ein Bruchteil des Universums, in dem wir leben. Nicht einmal ich kann alles davon begreifen. Deine Heimat ein Sandkorn, die Herrschenden kleine Puppen und deine Götter nur ein Teil von etwas Großem.«
Die Ironie an dieser Passage war, dass das alles nur Vermutungen von mir waren. Nein, ich wusste nicht, dass ich damit recht hatte. Vielleicht gehört es aber zu meinem Fluch, dass ich all das weiß. Ich-

»Du schreibst wieder an deiner Geschichte, richtig S?«, unterbrach mich die Stimme von Peod.
Natürlich ist er hier, dachte ich. Wieso unterbrach er mich genau jetzt? Ich hatte doch so wunderbar davon berichtet, wie ich damals angefangen habe meine Geschichte zu schreiben. Ich kam richtig in Gang, und jetzt er.
»Ayil, mein so wunderbarer Freund scheint mit mir reden zu wollen«, sagte ich zu meiner liebenswerten Gefährtin. Dass ich genervt war, verbarg ich nicht vor ihr. Dann aber räusperte ich mich, schloss kurz die Augen. »Ich werde sofort wieder bei dir sein, meine Liebste«, sagte ich abschließend zu ihr. Meine Stimme wechselte. Sie klang nun zuvorkommender, aber auch gewitzt. Ich bevorzugte so zu klingen, wenn ich mit anderen sprach, sodass es so klingt, als ob ich immer etwas wusste, was sie nicht wussten.
Meine Haare wechselte ich von einem Schwarz in ein dunkles Blond. Sie wurden länger und ich machte sie zu einem Zopf hinten zusammen, währende meine Augen blau wurden. Der mit Holz ausgestattete, mit Kerzenlicht erhellte, gemütliche Raum, in dem ich mich gerade befand, verschwand.

Als ich meine Augen öffnete, befand ich mich auf einem fliegenden Stein zwischen den Sternen. Nichtmal hier draußen im Nirgendwo hat man Ruhe, dachte ich und blickte zu Peod. Er sah immer viel zu ernst aus für meinen Geschmack. Seine dunkle, simple Stoffkleidung mit der viel zu großen Kapuze. Ich konnte ihm meistens nicht einmal in die Augen schauen.
»Hatte ich dir nicht gesagt, dass diese Texte eine schlechte Idee sind?«, sagte er zu mir und kam ein Schritt näher.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass mir das egal ist?«, antwortete ich. Wirklich, was denkt er, wer er ist? Nur weil wir uns Jahrhunderte kennen, muss mir seine Meinung etwas wert sein?
Er seufzte leise, aber ich konnte es hören.
»Weißt du eigentlich, wie anstrengend es ist, meine Haare wachsen zu lassen, und die Farbe zu wechseln, nur weil du unangemeldet zu mir kommst?«, fragte ich.
»Niemand sagt, dass du das machen musst.«
»Es ist aber lustiger so. Auch nach all den Jahrhunderten verzweifelst du bei dem Anblick von etwas, was dich an Ios erinnert«, sagte ich. Vielleicht war es fies von mir, dass ich immer mir die Haare so machte, wie sein alter Meister. Ich habe aber auch nie versucht nett zu ihm zu sein.
»Habe ich dir schon einmal gesagt…«
»Dass er lustiger war als ich? Ja, jedes Mal«, unterbrach mich Peod. Dieser Drecksack. Er soll mich gefälligst ausreden lassen.
Ich gab ihm ein falsches Lächeln. »Ach, Peod. Guck doch nicht so schlecht gelaunt.« Ich ging zu ihm hin, zeigte auf den Boden, und auf der Stelle, auf die ich zeigte, materialisierte sich ein kleiner Holztisch. Dann zeigte ich auf die jeweils rechte und linke Seite, wo daraufhin zwei Holzstühle erschienen.
»Setzt dich doch gerne, alter Freund«, sagte ich und setzte mich auf einen der Stühle. Mit einer weiteren leichten Handbewegung materialisierte sich noch ein Kerzenständer auf dem Tisch. »Man darf die Details nicht vergessen«, sagte ich und zwinkerte ihm zu.
Erneut seufzte Peod und auch wenn ich es nicht sehen konnte, so hörte ich förmlich, wie er mit den Augen rollte.
»Ich habe keine Zeit für deinen Unsinn«, ermahnte er mich. »Ich kann dich nicht abhalten, deine Texte zu schreiben, und dein Spiel hier spiele ich auch nicht mit. Es ist das Kind der Sonne. Großes passiert gerade.«
»Ach, das meinst du«, sagte ich, seufzte wegen seiner nervigen Ernsthaftigkeit und ließ Tisch und Stühle verschwinden. Ich wiederum blieb noch kurz in der Luft sitzen, bis ich aufstand.
»Du weißt also, was passiert?«, fragte er.
Ich schaute ihn mit einem sehr selbstzufriedenen Blick an. »Hast du nicht gelernt von mir über die ganze Zeit?«
Natürlich wusste ich was passierte, doch es wirkte nicht nach etwas, wo ich eingreifen musste. Es war tatsächlich ziemlich groß und bedeutend, weshalb ich es ignorierte. Ich sah mich immer mehr bei der Vorarbeit vor solchen Ereignissen, oder dem Aufräumen des Chaos. Wenn Peod mich aber sogar dabei haben will…
»Wie kannst du so etwas ignorieren?«, fragte er mich ein wenig unglaubwürdig. Es bereitete mir ein weiteres Lächeln, dass ich ihn immer noch überraschen konnte.
»Pssh«, ermahnte ich ihn und legte meinen Zeigefinger auf meinen Mund, um ihn zu signalisieren, dass er schweigen sollte. Mit der anderen Hand wischte ich in die Luft und erschuf so ein Portal.
»Nach dir, geehrter Rivale«, bat ich ihn und verbeugte mich vor ihm. »Wenn ich die Hilfe bin die du brauchst, musst du wahrlich verzweifelt sein.« Ich schaute zu ihm hoch und zwinkerte ihm zu.
Seufzend ging er durch das Portal. Ich wiederum materialisierte noch kurz ein Buch. Es war das Buch, das ich damals vor all dem hier angefangen habe zu schreiben, und in welches ich die ganze Zeit alles dokumentiere und nacherzähle. Die Geschichte eines Geschichtenerzählers.
»Nach allem, was ich die letzten Jahre erlebt habe, ist eines wahrscheinlich klar geworden. Elphid ist ein ganz besonderer Junge. Hoffnung sagte, er erinnerte sie an Peod, als dieser noch ein Diener war. Das ist aber Blödsinn. Dieser Junge ist anders als ich und Peod es jemals waren.
Dieser Fakt beunruhigt mich. Warum? Dieser Junge wird bald einer von uns sein. Eine neue Variabel mit so viel Macht. Ich hoffe, ich habe ihn in die richtige Richtung geschickt, und Peod hat ihn hoffentlich nicht zu sehr ruiniert,« schrieb ich in das Buch. »Randnotiz: ›Ayil, ich und Peod sind aufgebrochen. Das Kind der Sonne wird vom Schicksal gerufen, und wir müssen uns natürlich einmischen. Komme bald wieder nach Hause. Liebe dich, S.‹«
Das Buch verschwand wieder und ich ging durch das Portal hindurch.
Es war Zeit, mal wieder das Schicksal von Diasteri in die eigene Hand zu nehmen.

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